Über Jahrzehnte lebten und arbeiteten sie in der Schweiz. Nun sind sie sozusagen ein zweites Mal emigriert: Zurück an ihre Geburtsorte. Unsere drei Rückkehrer Mišo Perak, Ana Čop und Željko Vukić erzählen uns, wie sie sich in der Schweiz ein neues Zuhause erschufen und wodurch sie zur Rückkehr bewegt wurden.

Während Ana Čop und Željko Vukić seit mehreren Jahren wieder an ihren Geburtsorten leben, steht die Rückkehr für Mišo Vlado Perak noch bevor. «Wir kamen mit dem Ziel hierher, eines Tages zurückzukehren. Ich stelle es mir aber schwierig vor, die Schweiz ganz zu verlassen», erzählt der 61-jährige. Schliesslich verbrachte der dreifache Familienvater über 40 Jahre seines Lebens in seiner zweiten Heimat. «Wir planen also, ein bisschen überall zu leben: Weihnachten und Ostern in meiner Heimatstadt Garevac in der Bosanska Posavina; Neujahr bis Ostern in der Schweiz bei unseren Kindern und Enkeln; fünf bis neun Monate am Meer; zuletzt wollen wir den Herbst in Osijek geniessen.»

Mišo Vlado Perak bei der Arbeit

Der gelernte Automechaniker folgte im Alter von 21 Jahren zusammen mit seiner Freundin, seiner jetzigen Frau, dem Ruf der Arbeit in die Schweiz. «Ich gebe zu, dass es mir anfangs nicht leicht fiel, dass ich sogar nachts aufstand und die Koffer packte, um zurückzugehen. Aber mit der Zeit gewöhnte ich mich ein; nun bin ich schon seit 40 Jahren hier in diesem Alpenland.» Mišo und seine Frau arbeiteten beide 15 Jahre lang im Catering in einem Hotel. Mit dem Krieg in der Heimat veränderte sich auch ihr Leben über Nacht radikal. Beide verliessen die Skigebiete und das Hotelzimmer endgültig und holten ihre Kinder in die Schweiz. Mišo gelang es dank seiner Lehre in Metallbearbeitung, einen neuen Job zu finden; seither arbeitete er an CNC-Maschinen. Seit 20 Jahren betreibt der Computerinteressierte ausserdem das Garevac-Informationsportal GIP und das Portal posavina.org. «Durch das GIP konnten wir hier in der Schweiz viele humanitäre Aktionen sowohl für Kroatien als auch für Bosnien und Herzegowina starten und realisieren.»

Auf die Frage, ob er sich in der Heimat schnell wieder zurechtfinden wird, zeigt sich Mišo zuversichtlich. «Ich glaube nicht, dass das für uns ein Problem sein wird, denn wir besuchten die Heimat sehr oft.»

Die stolze Grossmutter Ana Čop

Ähnliche Vorstellungen hatte auch Ana Čop, als sie die Schweiz verliess, um nach Samobor zurückzukehren. Dort angekommen, empfand sie plötzlich eine Leere. «Um mich in Kroatien wieder zurechtzufinden, musste ich mich erst etwas anpassen. Typisch schweizerische Eigenschaften wie Sauberkeit, perfekte Organisation, Professionalität und Korrektheit fehlten mir. Auch vermisste ich genügend Gelegenheiten zur Weiterbildung im Beruf.» Heute fühlt sie sich in ihrem geliebten Samobor ganz zu Hause und geniesst das Rentnerinnen-Dasein in vollen Zügen. Ihrer grössten Leidenschaft blieb Ana ebenfalls treu: Anderen Leuten zu helfen. Einen grossen Teil ihrer Zeit investiert sie in die Leitung des Caritas-Zentrums in ihrer Gegend. Daneben hütet die vierfache Grossmutter ihre Enkel. Ausserdem pflegt sie liebevoll ihre Blumen, vertieft sich in Poesie und Literatur und hört gerne Musik – von Vivaldi bis zu Dalmatischen Liedern.

Langweilig scheint es ihr also nie zu werden. Sie verrät auch ihr Motto und ihr Geheimnis: «Carpe diem» (nütze den Tag). So versucht sie immer, das Beste aus dem Tag zu machen und das Leben zu geniessen. Wenn mir Ana von ihrer Zeit in der Schweiz erzählt, wird schnell klar, dass sie hart arbeitete. Wie Mišo kam auch sie bereits als 21-jährige in die Schweiz– aus ökonomischen Gründen (typischer Begriff im Kroatischen: rješavanje stambenog pitanja). «Wir hatten Freunde in Zürich, die meinem Mann und mir bei der Suche nach Arbeit halfen.» Über ihre damaligen Vorstellungen sagt sie: «Ich stellte mir die Schweiz als ein Land des Wohlstands vor, ohne zu wissen, dass man nur durch gewissenhafte Arbeit und Verzicht zu Wohlstand gelangen kann.» Über Jahrzehnte war sie im Universitätsspital Zürich als Krankenpflegerin und Mentorin für Auszubildende tätig. «Dadurch, dass ich mit jungen Leuten arbeitete, blieb meine Seele jung», erzählt die Rentnerin. Während all dieser Jahre behielt sie ihre kroatische Adresse und hatte sozusagen zwei Wohnsitze. Ihre Kinder wuchsen in Samobor auf. Mit ihrer besten Freundin, die ebenfalls in der Schweiz als Krankenpflegerin arbeitete, teilte sie sich Arbeit und Kindererziehung auf. Beide arbeiteten abwechselnd zwischen 40 und 60% und verbrachten dann sechs Wochen in Kroatien mit den Kindern. Ein perfekteres Teamwork kann man sich nicht vorstellen. Auch für Ana war stets klar, dass sie eines Tages ganz zurück nach Kroatien gehen würde: «Wir erreichten unser Ziel und wollen nun das Leben in Kroatien geniessen.»

Željko Vukić lebt seit fünf Jahren als Rückkehrer in Orašje in der Bosanska Posavina, nachdem er dreissig Jahre in Zürich verbrachte. «Ich beschäftigte mich schon immer am liebsten mit Kultur und Gastronomie, auch in der Heimat, welche dies besonders verdient hat. Sobald die Bedingungen für meine Rückkehr erfüllt waren, machte ich mich auf den Weg.» Dem 64-jährigen fiel jedoch der Abschied von der Schweiz nicht leicht. «Ich fühlte mich sehr traurig, unwirklich, misstrauisch. Der Abschied von so vielen wunderbaren Menschen, sehr angenehmen Erlebnissen, den schönen Bergen und Seen fiel mir als emotionales Wesen sehr schwer.» Noch Monate später visualisierte er Spaziergänge entlang des Zürichsees. Doch als er seine langjährige Heimat traurig verliess, begrüsste er die alte Heimat umso lebhafter und freudiger. «Jahrelang bewunderte ich täglich unsere guten alten Dinge und Bräuche.»

Željko absolvierte seinen Master in Literaturwissenschaft. Der Kulturinteressierte studierte an den Universitäten von Belgrad, Zagreb und Zürich. «An der ersten Fakultät belegte ich Deutsch als Nebenfach, daher fühlte ich mich natürlich zum deutschsprachigen Raum hingezogen. Ich verliess meine Heimat aus vielen verschiedenen Gründen, auch aus Neugier und Wissensdurst. Da ich mich während der ganzen Zeit selbst finanzierte, musste ich attraktive und gut bezahlte Sommerjobs finden.» Die Schweiz sah er als eine Nation von anspruchsvoller Kultur und erstklassiger Gastronomie. Er arbeitete in zahlreichen verschiedenen Catering-Unternehmen, sammelte Wissen und Erfahrung, arbeitete gleichzeitig als Gerichtsdolmetscher für Deutsch-Kroatisch (Serbisch/Bosnisch) und finanzierte damit sich und seine Familie. «Zusätzlich schrieb ich mich in Zürich für eine Promotion in Germanistik ein: Die Ästhetik der Romane von Günter Grass. Es war natürlich furchtbar anstrengend.» Über ein Jahrzehnt lang arbeitete er ausserdem nebenbei an seinem Herzensprojekt, dem Aufbau eines Kultur- und Cateringzentrums in seiner Heimatstadt Orašje, basiert auf seinen Erfahrungen in der schweizerischen Gastronomie – das Dvor Terra Tolis. «Die Entscheidung, während meiner letzten Jahre in Zürich entweder meine Promotion abzuschliessen oder mich ganz dem Kultur- und Cateringzentrum zu widmen, fiel zu Gunsten des Zweiten. Nach vielen Jahren erstrahlt nun das Zentrum in voller Pracht. Grössere kroatische Kulturveranstaltungen auf dieser Seite der Sava finden zumeist dort statt: Tage des kroatischen Films, Tage von Tolisa, Promocije Matice hrvatske, Hochzeiten und Dutzende verschiedener Feste.»

«Das Leben ist einzigartig, deshalb wünsche ich mir und anderen, dass wir uns dieses Lebens in jedem Augenblick bewusst sind, die Vergangenheit hinter uns lassen und danach streben, heute gut zu sein und morgen noch besser zu werden», meint Mišo.

Als praktischen Tipp gibt uns Ana: «Geh niemals in ein Land, dessen Sprache du nicht beherrscht.» Besonders die ersten drei Monate waren für sie wegen der Sprachbarriere schwierig. Doch auch dies meisterte Ana dank ihrer Lebenseinstellung: «Lebe jeden Tag mit Gelassenheit, Freude und Zufriedenheit. Carpe diem!»

Željko antwortete: «Ich empfehle, was ich selbst erlebte: Schliesse so viele Schulen wie möglich ab, probiere so viele Berufe wie möglich aus, besuche so viele Länder wie möglich, besonders solche mit hoher Kultur – und verbringe deine dritte Jugend in der Ecke der Welt, die du am meisten liebst.»

Text und Übersetzung: : Laurora Shoshi

Quelle: Libra 48