Frau Dr. Andrea Bekic, Botschafterin der Republik Kroatien, empfing uns für unser Interview sehr freundlich. Nach einer Führung durch Botschaft und Konsularabteilung und der Vorstellung ihrer Mitarbeiter kehrten wir ins Erdgeschoss zurück, das vor kurzem renoviert und zu einem Ausstellungsraum umgebaut worden war. In diesem Raum fand Ende November 2020 eine durch die Swiss Digital Days inspirierte Ausstellung früher kroatischer Computerkunst statt. Nicht nur in diesem Raum, auch in allen Arbeitszimmern und Korridoren befinden sich Gemälde kroatischer und anderer Künstler, auch Fotos aus Kroatien. Und wo früher Präsidentenportraits hingen, finden wir jetzt ein Kruzifix.

Obwohl die Fragen für das Interview vorbereitet waren, beantwortete die Botschafterin in lockerer, entspannter Atmosphäre ohne Vorbehalte auch spontan gestellte Fragen. Herausforderungen gibt es viele, Möglichkeiten für wirtschaftliche Zusammenarbeit, für Austausch in Wissenschaft und Bildung zwischen Kroatien und der Schweiz noch mehr. Leider zeigt es sich auch, dass nur ein kleiner Teil der Kroaten, die früher beabsichtigt hatten, nach Kroatien zurückzukehren, dies auch verwirklichten. Damit eröffnen sich auch in der Schweiz neue Fragen und Probleme, besonders was ältere Generationen betrifft. Mit Stolz zu erwähnen wäre jedoch der Umstand, dass während der gegenwärtigen Pandemie ein kroatisches Chemieingenieur-Unternehmen in Visp im Wallis für die Lonza ein 200-Mio-Fr.-Projekt für einen Bau realisiert, in dem der neue Moderna-Impfstoff gegen Covid 19 hergestellt wird.

Die Botschafterin, Frau Dr. Andrea Bekic, in ihrem Büro

Nach Ihrem Einsatz in Polen kamen Sie als Botschafterin in die Schweiz. Wie waren Ihre ersten Eindrücke hier?

Meine fünfjährige, sehr intensive Amtszeit als Botschafterin in Polen wird mir in guter Erinnerung bleiben; das war 2013, im Jahr des EU-Beitritts von Kroatien. Es war für mich eine anspruchsvolle Herausforderung, bei der sich neue Gebiete der Zusammenarbeit ergaben. Kroatien geniesst bei der polnischen Bevölkerung ein sehr hohes Ansehen. Erwähnt man, dass man aus Kroatien kommt, lächeln die Menschen und öffnen sich, denken dabei an Sonne, Adria und an die vielen Ähnlichkeiten, die uns verbinden. In Polen ist das Interesse an der kroatischen Sprache, gemessen an der Anzahl Slawistik-Studenten, sehr hoch, sie kommt gleich hinter Russisch und Tschechisch. An vier Universitäten – in Warschau, Posen, Krakau und Kattowitz – gibt es Lehrstühle für Kroatisch, zu denen das kroatische Ministerium für Wissenschaft und Bildung Dozenten entsendet. In der Schweiz gibt es im Vergleich dazu nur die Möglichkeit, in Slawistik-Seminaren osteuropäische Kultur und die nicht existierende BKMS-Sprache (bosnisch-kroatisch-montenegrinisch-serbisch) zu studieren, nicht aber Kroatisch als eigenständige Sprache. Deshalb würden wir gern Kroatisch-Dozenten an eine Universität in der Schweiz schicken. In Polen zählen die kroatische Diaspora inklusive Einwanderer bisher kaum tausend Leute. Diese Zahl ändert sich jedoch, da immer mehr junge Geschäftsmänner aus Kroatien in die multinationalen Konzerne nach Polen kommen.

Ende 2018 wurde ich zur Botschafterin für die Schweiz und Liechtenstein ernannt. Meine erste Begegnung mit der Schweiz fand jedoch bereits 1993 statt. Damals verbrachte ich als «junges Kadermitglied» des Aussenministeriums einige Monate in Genf. Einige Jahre später, 1997, kam im malerischen Genolier im Kanton Waadt mein jüngerer Sohn zur Welt. In dieser Zeit war mein Mann Darko kroatischer Botschafter bei der UNO-Mission, und ich arbeitete auf Honorarbasis als Korrespondentin für die kroatische Nachrichtenagentur HINA von Genf aus. Nach 20 wie im Flug vergangenen Jahren waren meine Kinder erwachsen, und ich kehrte als Botschafterin in die Schweiz zurück. Ich gewann Bern sofort lieb. Diese kleine, aber wunderschöne und elegante Stadt an der Aare mit ihrem zauberhaften Alpenpanorama scheint mir wie massgeschneidert für die Menschen. Diese sind hier auch ganz speziell, so schenkte uns unsere Nachbarin ein selbstgebackenes «Willkommensbrot», was mich sehr berührte. Auch sonst konnte ich die Erfahrung machen, dass die Schweizer sehr freundlich und entspannt sind. Hier begreift der Mensch, wie fein auch klein sein kann. Orts- und Landschaftsplanung beeindrucken mich, unabhängig davon, ob es sich um grössere oder kleinere Städte oder ganze Regionen handelt. Was mich in der Schweiz aber am meisten begeistert, ist dieses aussergewöhnliche Niveau in vielen Bereichen der Aktivität, und die führende Rolle, die die Schweiz beispielsweise im wirtschaftlichen Wettbewerb, dem Motivations-Umfeld für Unternehmen, in Innovation und Forschung, den Universitäten usw. spielt. In der Schweiz wird das alles in einer Art Gleichgewicht von Wirtschaftsdynamik und Natur, von Tradition und Moderne erreicht, und zwar lokal wie global. Ausserdem ist die Schweiz mit ihrer Mehrsprachigkeit, der direkten Demokratie und der bewaffneten Neutralität einzigartig, was mich als Politologin ausserordentlich interessiert.

Es begeistert mich auch, dass Tausende Kroatinnen und Kroaten, eingeschlossen die zwei Nobelpreisträger Lavoslav Ruzicka und Vladimir Prelog, über Jahrzehnte hinweg einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz leisten konnten. Bei meinen Gesprächen mit Schweizern höre ich nur positive Worte über Kroaten – dass sie ohne Ausnahme fleissig und gut integriert seien. Ich sehe, dass sie der Schweiz dafür dankbar sind, so freundlich willkommen geheissen zu werden. Es beeindruckt mich sehr, wenn ich sehe, in wie vielen kulturellen, sportlichen oder auch patriotischen Vereinen unsere Landsleute aus allen Teilen Kroatiens, aber auch aus Bosnien und Herzegowina, organisiert sind und auf diese Weise untereinander und mit der Heimat verbunden bleiben.

Seit ich in die Schweiz gekommen bin, betone ich besonders bei offiziellen Anlässen immer wieder, dass Kroatien ein mediterranes, mitteleuropäisches Land ist, das politisch und kulturell seit mehr als tausend Jahren zum Westen gehört. Leider, und für mich überraschend, steckt die 70-jährige Zugehörigkeit zu Jugoslawien noch immer in den Köpfen fest, besonders in akademischen, kulturellen und journalistischen Kreisen. Und so wird Kroatien in der Schweiz leider oft auf Grund realitätsferner Stereotypen wahrgenommen.

Wie steht es um die Beziehung zwischen Kroatien und der Schweiz?

Anfangs 2022 werden wir das 30-jährige Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern feiern. Die bilateralen Beziehungen wie auch andere Formen der Zusammenarbeit in Wirtschaft und Wissenschaft wurden in dieser Zeit systematisch weiter entwickelt und verstärkt. Heute sind sie wirklich sehr, sehr gut. Dies wird auch alle paar Jahre bei Treffen auf höchster politischer Ebene bestätigt. Natürlich sind auch die kroatischen Auswanderer in der Schweiz wichtige Bindeglieder zwischen den beiden Staaten.

Nach dem Beitritt Kroatiens zur EU erhielten die Beziehungen mit der Schweiz eine weitere Dimension, und es entstanden neue gemeinsame Themen. Das zeigte sich besonders in der ersten Hälfte des Jahres 2020, als Kroatien den Vorsitz im Rat der EU übernahm. Dieser schloss bei zahlreichen wichtigen Ministertreffen auch die Schweiz mit ein, besonders diejenigen, die die Corona-Pandemie zum Thema hatten. Jetzt beteiligt sich Kroatien mit den restlichen 26 Mitgliedsstaaten an der Ausgestaltung der EU-Politik gegenüber der Schweiz. Die Schweiz zeigt auch Interesse für die Erfahrungen Kroatiens im Umgang mit seinen Nachbarn im West-Balkan, denn die Schweiz nahm mehrere hunderttausend Emigranten und Auswanderer aus dieser Region auf. Obwohl sie nicht Mitglied der NATO ist, beteiligt sich die Schweiz an der Stabilisierungsmission der KFOR im Kosovo, wo die Swisscoy kürzlich gemeinsam mit Kroatien an einer Helikopterübung teilnahm.

Für die Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, verstärkte Investitionen in Kroatien und die Steigerung des Exports kroatischer Güter in die Schweiz ist es wichtig, das Vertrauen der Schweizer in die kroatische Geschäftsführung zu stärken und deren Wahrnehmung zu verbessern. Glücklicherweise haben wir bereits gute Beispiele von schweizerischen Investitionen im Gesamtwert von einer Milliarde Euro.

Woraus bestehen diese Investitionen?

Seit 1993 zählen gewisse Investitionen zu den erfolgreichsten Beispielen der Privatisierung kroatischer Unternehmen mit Hilfe von ausländischem Kapital. Zum Beispiel die Zementfabrik Koromacno in Istrien, die zur Holcim-Gruppe gehört, Höger Maschinenbau für die Bearbeitung von Gemüse und Obst, Investitionen in die Verpackungsfirma Model oder Vetropack-Straza für gläserne Verpackungen, die Beteilung von MTC (Montana Tech Components) an Aluflexpack (Aluminiumverpackungen) und anderen. 2018 wurde in Zagreb ein Zweigbetrieb des schweizerischen Informatik-Unternehmens Adcubum eröffnet, das komplette Software-Lösungen für Versicherungsgesellschaften anbietet. Und besonders ist zu erwähnen, dass auch kroatische Unternehmen in der Schweiz arbeiten, wie z.B. Klimaoprema aus Samobor, die in Visp für das Pharmaunternehmen Lonza einen 200-Mio-Franken-Komplex projektierte und baute. Dort wird der neue Covid-19-Impfstoff hergestellt.

Vergleicht man aber den jährlichen Güteraustausch mit Österreich, der 2.5 Mrd Euro übersteigt, mit jenem mit der Schweiz, der 400 Mio Euro beträgt, zeigt sich, dass noch viel mehr möglich wäre. Positiv zu vermerken ist jedoch, dass die Anzahl von Touristen aus der Schweiz (vor der Pandemie) auf fast 300 000 stieg.

Libra kritisierte bereits die doppelte Besteuerung von Immobilien, die trotz des Abkommens gegen Doppelbesteuerung bis heute besteht. Dies entspricht zwar dem Gesetz, aber die Art und Weise, wie sich in der Schweiz diese zusätzliche Steuer berechnet, ist für kroatische Verhältnisse unverständlich. Glauben Sie, in diesem Bereich etwas unternehmen zu können?

Die Doppelbesteuerung von Einkommen, Gewinn und Vermögen ist zwischen Kroatien und der Schweiz im Vertrag von 1999 geregelt. Darin ist auch die Immobiliensteuer festgelegt, inklusive der Steuer auf Einnahmen aus Immobilien und auf Immobilien als Vermögen. Leider liegt es nicht an mir, schweizerische Gesetze zu interpretieren, auch wenn diese für unsere Auswanderer ungünstig sind. Natürlich muss man sich an Gesetze halten. Falls aber jemand glaubt, dass das Verfahren von einem oder beiden Ländern zu einer Besteuerung führt, die nicht in Einklang mit dem Doppelbesteuerungsabkommen ist, kann er sich an die zuständige Behörde seines Wohnsitzstaates oder an die Behörde des anderen Vertragsstaates, dessen Angehöriger er ist, wenden.

Die Botschafterin im Gespräch mit der Libra-Mitarbeiterin. Massnahmen gegen die Pandemie werden in der Botschaft strikt eingehalten, Maskentragen ist Pflicht, ebenso wie regelmässiges Lüften. Im Hintergrund Objekte aus der Computerkunst-Ausstellung.

Wie stehen Sie allgemein zur Migration?

Die kroatischen Auswanderer stellen einen grossen Reichtum dar. Zusammen mit der inländischen Bevölkerung ergeben sich siebeneinhalb Millionen Menschen. Es wäre schön und von beidseitigem Nutzen, wenn so viele Auswanderer wie möglich mit ihren Nachkommen nach Kroatien zurückfänden. Es ist ein sicheres und wunderschönes Land, es ist ihr Land, mitten in Europa, mit ansprechenden Universitäten, relativ niedrigen Lebenskosten und viel Potential für wirtschaftliche Initiativen.

Ungefähr 200 000 Kroaten verliessen ihr Land seit dem EU-Beitritt, gemäss inoffiziellen Quellen ist die Zahl sogar höher als 300 000. Die Auswanderung in diesem Ausmass zusammen mit der niedrigen Geburtenrate gefährdet unser Land. Auch die Nachhaltigkeit des Rentensystems wird dadurch in Frage gestellt, und der Verlust von jungen und gut ausgebildeten Bürgern hat einen hohen Preis. Ich glaube, dass viele wieder zurückkehren und ihr Wissen und ihre im Ausland erworbene Erfahrung für die Entwicklung unseres Landes einsetzen.

Sollte Kroatien zusätzliche Schritte unternehmen, damit Kroaten wieder in ihr Heimatland zurückkehren?

Was die Auswanderung betrifft, glaube ich, dass Kroatien aktiv werden und Kontakte mit den Vereinigungen im Ausland pflegen muss. Gleichzeitig aber müssen im Land selbst die wirtschaftlichen Bedingungen verbessert und die Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltungen digitalisiert werden, gemäss dem Vorbild des bereits bestehenden E-Bürger-Systems. Und natürlich braucht es auch zusätzliche Anreize für die Rückkehr.

Unter den Kroaten in der Schweiz besteht wenig Einigkeit. Was denken Sie darüber?

Ich muss ehrlich gestehen, dass ich keine unüberbrückbaren oder destruktiven Spaltungen unter den Kroaten in der Schweiz bemerkte. Nach zahlreichen Treffen und Gesprächen scheint mir, dass die kroatischen Auswanderer, unsere Diaspora, trotz kleiner Unterschiede und Besonderheiten – generations- oder regional bezogen – einheitlich auftreten, wenn es um die Unterstützung und das Interesse für ihr Heimatland geht. Ob nun aus Kroatien selbst oder aus Bosnien und der Herzegowina, sie geben sich stolz und haben ein ausgeprägtes Gefühl der Zugehörigkeit zu kroatischem Gedankengut. Wichtig ist das Erhalten der kroatischen Sprache, der Identität und einer konstruktiven Beziehung zur Heimat. Zum Beispiel, nicht zu vergessen, wie schwierig die Zeit war, in der die Kroaten keinen eigenen Staat hatten, obwohl sie zu den ältesten Völkern mit staatsrechtlicher Erfahrung in Europa gehören. Die Einheit der kroatischen Diaspora, die ich in der Schweiz spüre, zeigte sich vor kurzem wieder in der uneigennützigen Anteilnahme und dem Sammeln von Hilfsgütern für die vom Erdbeben betroffenen Region der Gespanschaft Sisak-Moslavina, was mich an die Hilfsaktionen während des Kroatien-Krieges erinnerte. Dafür bedanke ich mich bei allen sehr herzlich.

Interview und Übersetzung: Ana Števanja-Macan

Fotos: Vesna Polić Foglar

Quelle: Libra 49