Bereits in früheren Ausgaben der Libra portraitierten wir verdiente Mitglieder des Kroatischen Kulturklubs. Eines dieser Mitglieder ist sicherlich auch Ana Števanja. Der Lebensweg der temperamentvollen und aktiven Dalmatierin war nicht immer einfach und geradlinig, ihre Karriere ist jedoch beneidenswert. Von besonderer Bedeutung ist Ihre Beratungstätigkeit für Kroaten in der Schweiz. Sie ist seit vielen Jahren als Revisorin im Kroatischen Kulturklub tätig und organisierte verschiedene Veranstaltungen – oder nahm an ihnen teil.

Liebe Ana, wie lange bist Du schon in der Schweiz? Wie bist Du überhaupt hier gelandet?

Es ist kaum glaublich, ich bin schon beinahe 50 Jahre hier! Dabei hatte ich ganz andere Pläne und Vorlieben, wenn es darum ging, (falls überhaupt) ins Ausland zu gehen. Ich wollte die Welt sehen, auf den Spuren alter Völker reisen, die Kulturen und Bräuche auf diesem und auf anderen Kontinenten erforschen. Wie vieles in meinem bisherigen Leben passierte die Reise in die Schweiz ungeplant und spontan. Nach der Matura hatte ich mich an der Philosophischen Fakultät in Zagreb für Französisch und Völkerkunde eingeschrieben. Damals studierten auch meine beiden Brüder noch. Da meine Familie nicht vermögend war (mein Vater kam 1954 bei einem Grubenunglück im Kohlebergwerk Sinjska Ruduša ums Leben; meine Mutter wurde zur Witwe mit fünf minder- und einem volljährigen Kind), deshalb hiess es für uns «hilf dir selbst, so hilft dir Gott». Die älteren Geschwister halfen den Jüngeren, soweit ihnen dies möglich war. Es war klar, dass die vorhandenen Mittel nicht genügten, um drei Studenten zu finanzieren, auch wenn die Brüder etwas dazuverdienten. Deshalb tagte in meinem Zimmer im Studentenheim eines Abends der Familienrat. Es wurde gewürfelt und entschieden, dass ich für eine Weile in die Schweiz reisen sollte. Mein verstorbener Bruder Josip (Mag. Ph.) hatte nämlich über Dr. Žarko Dolinar und seinen Trauzeugen, der damals Direktor von Pliva war und eng mit schweizerischen Pharmaunternehmen zusammenarbeitete, eine reiche Familie aus Feldmeilen kennen gelernt. So landete ich als Aupair an der «Goldküste» des Zürichsees, was sich hinterher als glückliche Fügung herausstellte. Das erste Mal war ich 1969 dort, das zweite Mal 1971. Die deutsche Sprache war mir zwar fremd; da ich aber gut Französisch sprach, gab es keine Verständigungsprobleme.

Du bist echte Dalmatierin. Wie war es für Dich, hier zu leben? Wie konntest Du Dich zurechtfinden? Hast Du das dalmatische Temperament und die Sprache vermisst?

Meine Gastfamilie nahm mich wie ein Familienmitglied auf, und sie sprachen Französisch mit mir. Da sie sich oft in Opatija und auf den Brionen aufhielten, konnten sie sogar einige kroatische Wörter. Als Liebhaber naiver Kunst reisten sie auch nach Hlebine, lernten Ivan Generalic kennen und wurden Besitzer von zweien seiner (heute sehr wertvollen) Gemälde. Während meiner ersten sechs Monate in der Schweiz kümmerte ich mich um die damals dreizehnjährige jüngste Tochter der Familie, einen sehr temperamentvollen Teenager (von der ich sehr viel lernen konnte, vor allem Deutsch) und ging viel mit dem Hund spazieren, also fiel es mir nicht schwer, mich zurechtzufinden. Mein dalmatisches Temperament vermisste ich nicht, da ich «brav», leise und noch leiser aufgewachsen war, damit ich um Himmels Willen niemanden störte. So hielt ich mich oft zurück, auch wenn ich mich öfter und mit Recht hätte wehren sollen. Ich muss einen sehr guten Grund dafür haben, laut zu werden; denn ich mag Leute gar nicht, die andere beleidigen und sich verbal aufdrängen, um ihre Ziele schneller zu erreichen.

Was hältst Du von unserem Spruch «ohne Haare auf den Zähnen»? Gibt es das auch hier?

Geradeheraus zu sagen, was man denkt, ist eigentlich nichts Negatives, so lang man die Regeln kultivierter Kommunikation befolgt. Im Kontakten mit meinen Schweizer Freunden konnte ich ab und zu eine versteckte Kommunikation feststellen, bei der Unausgesprochenes wichtiger ist als bei uns. Hier lernte ich, stärker auf Mimik, Gesichtsausdruck und Körperhaltung zu achten, den Blickkontakt zu halten – was vor allem dann nützlich ist, wenn der Geprächspartner nicht dazu bereit ist, seine Meinung geradeheraus zu vertreten. Das ist auch eine Form der interkulturellen Kommunikation, die mithilft, kulturelle Unterschiede zu verstehen und Missverständnisse zu vermeiden. Offene, aufrichtige Menschen sind mir am liebsten. Anstand und gegenseitiger Respekt sind dafür Voraussetzungen. Die Schweizer sind da etwas zurückhaltender als «unsere Leute», was gelegentlich als Nachteil empfunden wird; für mich ist das aber eine Tugend.

Was machtest Du alles nach der Einreise in die Schweiz? Womit beschäftigtest Du Dich?

Damit die Jüngeren unter uns die damalige Zeit besser verstehen, muss man sagen, dass man damals mit der Matura bereits als sehr gebildet galt. In Zürich musste man natürlich auch Deutsch Sprache können, was mir rasch gelang. Nach dem Wegzug von Feldmeilen wohnte ich in Zürich und fand dort dank der Unterstützung einer Mitarbeiterin der kroatischen katholischen Mission einen Bürojob bei der CSS-Versicherung. Dadurch konnte ich meine Ausbildung an der Höheren Fachschule für Wirtschaft fortsetzen und parallel dazu an der Dolmetscherschule Sprachen lernen. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, wie viel uneigennützige Unterstützung und Aufmerksamkeit mir an dieser Arbeitsstelle zuteil wurde.

An einem Sonntag nach der Messe wurde mir mein zukünftiger (jetzt ehemaliger) Ehemann vorgestellt. Er war allein, ich war allein, wir beide waren arm – ich dachte, es wird schon irgendwie gehen, obwohl wir doch total verschieden waren. So heirateten wir. Erst  nach der Geburt unserer Tochter begriff ich, wie stark wir uns unterschieden und dass das Leben einer Frau ganz anders verläuft als das der Männer aus unseren Kreisen. Zudem war mein Aufenthalt an die Arbeitsbewilligung gekoppelt, und mein Vertrag mit der Versicherung wurde nach der Geburt meiner Tochter nicht verlängert. Dank guter Referenzen und meiner Französischkenntnisse fand ich beim damaligen Simca-Importeur eine für mich massgeschneiderte Stelle. Alles stimmte, auch heute kann man von einer solchen Anstellung nur träumen. Während acht Jahren durfte ich einmal jährlich nach Paris, 1974 war ich sogar drei Monate lang im Austausch an den Champs Elysées. Diese Jahre waren für mich in jeder Hinsicht fruchtbar, denn ich bekam zwei weitere Kinder und beendete meine Ausbildung. Leider wurde nach der Übernahme durch Peugeot im Jahr 1981 erwartet, dass man nach Bern übersiedelt. Durch Zufall fand ich darauf eine Anstellung bei einer Treuhandfirma in Zug – eine interessante Arbeit; hier konnte ich endlich auch meine buchhalterischen Kenntnisse einsetzen. Es zahlte sich aus, dass ich Deutsch, Englisch und Italienisch gelernt hatte. Zudem wurde «Otopex», eine Tochter der General Trading Company in Zagreb, durch diese Firma vertreten.

Möchtest Du nach Kroatien zurückkehren, oder wirst Du «für immer» hier bleiben?

Früher hatte ich solche Pläne und baute mir, wie viele unsere Landsleute, auch ein Haus für meine Rückkehr aus. Diesen Plan musste ich jedoch verwerfen, ich werde für immer hier bleiben. Ich werde zwar nach Kroatien reisen, solange ich Lust und Kraft habe. Das Haus in Jelsa werde ich wohl verkaufen, weil mir der Gedanke weh tut, dass es fast zehn Monate im Jahr unbewohnt ist. Es gibt vieles, was mich mit Dalmatien und mit Kroatien verbindet. Ich habe das Land von West nach Ost, von Nord nach Süd, von Istrien bis Prevlaka bereist. Aus heutiger Sicht würde ich gerne irgendwo in einem kleinen Küstenort leben und die Inseln den Insulanern überlassen, trotz meiner Vorliebe für Mljet. Seit zwanzig Jahren fahre ich nun in mein Haus nach Jelsa auf der Insel Hvar, aber ich fühle ich mich dort nicht zu Hause. Ich darf sagen, dass mich Sinj mehr mit Dalmatien verbindet als irgend ein anderer Ort an der Küste oder auf den Inseln.

Wenn Du könntest, was würdest Du aus Kroatien in die Schweiz mitbringen? Was würdest Du in der Schweiz ändern? Was gefällt Dir nicht?

Ich gebe zu, dass ich ausser dem Meer hier sonst nichts vermisse. Das Ausländergesetz würde ich sofort ändern, würde die Gleichstellung aller Schüler verlangen, unabhängig von deren Herkunft. Den Eltern würde ich mehr Verantwortung auferlegen und nicht erlauben, dass sie diese Verantwortung an die Schule oder den Staat abgeben, um ihre familiären Probleme zu lösen. Mit den Befürwortern der Änderung des Bildungssystems zu Gunsten von Migrantenkindern bin ich nicht einverstanden, da dies einer Diskriminierung der Schweizer gleichkäme. Wie bei vielen Migrantenfamilien können sich auch nicht alle Schweizer ausreichend um ihre Kinder kümmern und regelmässig in der Schule erscheinen, um über ihre Kinder zu sprechen – also gleiche Regeln für alle. Migrantenkinder der dritten Generation sollten automatisch eingebürgert werden, unter der Voraussetzung, dass ihre Eltern gut integriert sind. Es gibt auch heute in der Stadt Zürich noch eingebürgerte Schweizer, die kaum Deutsch sprechen und in ihren ursprünglichen, geschlossenen Kreisen leben wie in einem Ghetto.

Und was würdest Du den Kroaten aus der Schweiz mitbringen? Womit würdest Du kroatische Nation bereichern?

Ich würde Kroatien gerne mehr Toleranz mitbringen, etwas mehr Multikulturalität würde auch nicht schaden. Die Korruption müsste strengstens bestraft, die Löhne müssten dem Preisniveau von Waren und Dienstleistungen angepasst werden. Den Regierenden sollte man beibringen, dass sie vom Volk bezahlt werden und ihm deshalb dienen müssen, und mit dem Geld der Steuerzahler, zum Wohl aller, verantwortungsvoll umgehen müssen.

Es dürften keine Baugenehmigungen mehr ohne entsprechende Infrastruktur erteilt werden. Mitbringen würde ich auch die gepflegte Umgebung und die gut organisierte öffentliche Verwaltung. Ich liebe es, mit Ämtern in der Schweiz zusammenzuarbeiten. Hat vielleicht in der Schweiz schon mal jemand irgendwo erlebt, dass die Schalter geschlossen werden, nur weil die Angestellten gerade «Znünipause» machen?

Kannst Du anlässlich des diesjährigen Jubiläums – 50 Jahre Stimm- und Wahlrecht für Schweizerinnen – die Lage der Frauen in der Schweiz kommentieren? Gibt es Unterschiede zur Situation in Kroatien?

Das ist ein sehr interessantes Thema, das mich persönlich stark beschäftigt. Anfang der Siebzigerjahre lernte ich Deutsch unter anderem auch durch das Fernsehen, damals liess ich keine Tagesschau aus. Ich konnte wirklich kaum glauben, dass die Frauen in der Schweiz kein Stimm- und Wahlrecht hatten, auch nicht, dass nur so wenige von ihnen studieren…

Tatsächlich, der Kampf um Gleichberechtigung und Stimmrecht dauerte über 100 Jahre, von 1868 bis 1971, und das ist auch für die Schweiz, in der alles etwas gemächlicher angegangen wird, viel zu lang.

Nachdem die Schweiz 1968 die Europäische Menschenrechtskonvention, unter dem Vorbehalt der politischen Rechte für Frauen, unterzeichnet hatte, kam es zu Protesten von Frauen- und teilweise auch von Männerverbänden. Unter diesem Druck gab Bern nach und liess darüber abstimmen. So geschah es, dass am 7. Februar 1971 die Schweizerinnen endlich Stimm- und Wahlrecht erhielten. Dieser Weg ist im Film «Die göttliche Ordnung» von 2017 hervorragend dargestellt; allen, die ihn noch nicht kennen, sei er wärmstens empfohlen. Die Änderung des Bewusstseins und die Akzeptanz von Frauen als gleichberechtigte Lebewesen dauert aber bis heute an, nicht nur in der Schweiz, sondern auf der ganzen Welt. Frauen müssen sich noch immer mehr beweisen, sie werden öfter kritisiert als ihre männlichen Kollegen. «Frauenrechte» bedeutet nach wie vor nicht das Gleiche wie «Menschenrechte». Im Vergleich mit Männern werden Frauen für gleichwertige Arbeit noch immer schlechter bezahlt, in der Schweiz genau so wie in Kroatien. Man könnte fast sagen, dass sich seit uralten Zeiten kaum etwas verändert hat. Wir finden nur sehr wenige Frauen in Regierungsämtern – es gibt weltweit nur etwa 10 Präsidentinnen. Die erste Regierungschefin überhaupt war Sirimavo Bandanaraike in Sri Lanka. In Parlamenten und in Konzernen auf der ganzen Welt sitzen vorwiegend Männer und entscheiden über den Lauf der Welt, während die Frauen für Familie und Kinder sorgen, die Rolle von Ehefrau und Mutter spielen, sie pflegen pflegen und haben schlechteren Zugang zur Bildung. Die Tendenz, Frauen wieder an den Herd zu verbannen, verbreitet sich in radikalen Kreisen wie ein Lauffeuer, das im Keim erstickt werden muss. Trotz alldem können wir uns privilegiert fühlen, wenn wir die Errungenschaften in der Schweiz oder in Kroatien mit denen der Ländern der sogenannten dritten Welt vergleichen. Für weitere Fortschritte müssen die Frauen unbedingt besser gebildet, ausgebildet und über ihre Rechte informiert werden. Besondere Anstrengungen für den Schutz misshandelter und missbrauchter Frauen und für die Bestrafung der Täter nötig – in der Schweiz genau so wie in Kroatien.

Bereits in früheren Ausgaben der Libra portraitierten wir verdiente Mitglieder des Kroatischen Kulturklubs. Eines dieser Mitglieder ist sicherlich auch Ana Števanja. Der Lebensweg der temperamentvollen und aktiven Dalmatierin war nicht immer einfach und geradlinig, ihre Karriere ist jedoch beneidenswert. Von besonderer Bedeutung ist Ihre Beratungstätigkeit für Kroaten in der Schweiz. Sie ist seit vielen Jahren als Revisorin im Kroatischen Kulturklub tätig und organisierte verschiedene Veranstaltungen – oder nahm an ihnen teil.

Liebe Ana, wie lange bist Du schon in der Schweiz? Wie bist Du überhaupt hier gelandet?

Es ist kaum glaublich, ich bin schon beinahe 50 Jahre hier! Dabei hatte ich ganz andere Pläne und Vorlieben, wenn es darum ging, (falls überhaupt) ins Ausland zu gehen. Ich wollte die Welt sehen, auf den Spuren alter Völker reisen, die Kulturen und Bräuche auf diesem und auf anderen Kontinenten erforschen. Wie vieles in meinem bisherigen Leben passierte die Reise in die Schweiz ungeplant und spontan. Nach der Matura hatte ich mich an der Philosophischen Fakultät in Zagreb für Französisch und Völkerkunde eingeschrieben. Damals studierten auch meine beiden Brüder noch. Da meine Familie nicht vermögend war (mein Vater kam 1954 bei einem Grubenunglück im Kohlebergwerk Sinjska Ruduša ums Leben; meine Mutter wurde zur Witwe mit fünf minder- und einem volljährigen Kind), deshalb hiess es für uns «hilf dir selbst, so hilft dir Gott». Die älteren Geschwister halfen den Jüngeren, soweit ihnen dies möglich war. Es war klar, dass die vorhandenen Mittel nicht genügten, um drei Studenten zu finanzieren, auch wenn die Brüder etwas dazuverdienten. Deshalb tagte in meinem Zimmer im Studentenheim eines Abends der Familienrat. Es wurde gewürfelt und entschieden, dass ich für eine Weile in die Schweiz reisen sollte. Mein verstorbener Bruder Josip (Mag. Ph.) hatte nämlich über Dr. Žarko Dolinar und seinen Trauzeugen, der damals Direktor von Pliva war und eng mit schweizerischen Pharmaunternehmen zusammenarbeitete, eine reiche Familie aus Feldmeilen kennen gelernt. So landete ich als Aupair an der «Goldküste» des Zürichsees, was sich hinterher als glückliche Fügung herausstellte. Das erste Mal war ich 1969 dort, das zweite Mal 1971. Die deutsche Sprache war mir zwar fremd; da ich aber gut Französisch sprach, gab es keine Verständigungsprobleme.

Du bist echte Dalmatierin. Wie war es für Dich, hier zu leben? Wie konntest Du Dich zurechtfinden? Hast Du das dalmatische Temperament und die Sprache vermisst?

Meine Gastfamilie nahm mich wie ein Familienmitglied auf, und sie sprachen Französisch mit mir. Da sie sich oft in Opatija und auf den Brionen aufhielten, konnten sie sogar einige kroatische Wörter. Als Liebhaber naiver Kunst reisten sie auch nach Hlebine, lernten Ivan Generalic kennen und wurden Besitzer von zweien seiner (heute sehr wertvollen) Gemälde. Während meiner ersten sechs Monate in der Schweiz kümmerte ich mich um die damals dreizehnjährige jüngste Tochter der Familie, einen sehr temperamentvollen Teenager (von der ich sehr viel lernen konnte, vor allem Deutsch) und ging viel mit dem Hund spazieren, also fiel es mir nicht schwer, mich zurechtzufinden. Mein dalmatisches Temperament vermisste ich nicht, da ich «brav», leise und noch leiser aufgewachsen war, damit ich um Himmels Willen niemanden störte. So hielt ich mich oft zurück, auch wenn ich mich öfter und mit Recht hätte wehren sollen. Ich muss einen sehr guten Grund dafür haben, laut zu werden; denn ich mag Leute gar nicht, die andere beleidigen und sich verbal aufdrängen, um ihre Ziele schneller zu erreichen.

Was hältst Du von unserem Spruch «ohne Haare auf den Zähnen»? Gibt es das auch hier?

Geradeheraus zu sagen, was man denkt, ist eigentlich nichts Negatives, so lang man die Regeln kultivierter Kommunikation befolgt. Im Kontakten mit meinen Schweizer Freunden konnte ich ab und zu eine versteckte Kommunikation feststellen, bei der Unausgesprochenes wichtiger ist als bei uns. Hier lernte ich, stärker auf Mimik, Gesichtsausdruck und Körperhaltung zu achten, den Blickkontakt zu halten – was vor allem dann nützlich ist, wenn der Geprächspartner nicht dazu bereit ist, seine Meinung geradeheraus zu vertreten. Das ist auch eine Form der interkulturellen Kommunikation, die mithilft, kulturelle Unterschiede zu verstehen und Missverständnisse zu vermeiden. Offene, aufrichtige Menschen sind mir am liebsten. Anstand und gegenseitiger Respekt sind dafür Voraussetzungen. Die Schweizer sind da etwas zurückhaltender als «unsere Leute», was gelegentlich als Nachteil empfunden wird; für mich ist das aber eine Tugend.

Was machtest Du alles nach der Einreise in die Schweiz? Womit beschäftigtest Du Dich?

Damit die Jüngeren unter uns die damalige Zeit besser verstehen, muss man sagen, dass man damals mit der Matura bereits als sehr gebildet galt. In Zürich musste man natürlich auch Deutsch Sprache können, was mir rasch gelang. Nach dem Wegzug von Feldmeilen wohnte ich in Zürich und fand dort dank der Unterstützung einer Mitarbeiterin der kroatischen katholischen Mission einen Bürojob bei der CSS-Versicherung. Dadurch konnte ich meine Ausbildung an der Höheren Fachschule für Wirtschaft fortsetzen und parallel dazu an der Dolmetscherschule Sprachen lernen. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, wie viel uneigennützige Unterstützung und Aufmerksamkeit mir an dieser Arbeitsstelle zuteil wurde.

An einem Sonntag nach der Messe wurde mir mein zukünftiger (jetzt ehemaliger) Ehemann vorgestellt. Er war allein, ich war allein, wir beide waren arm – ich dachte, es wird schon irgendwie gehen, obwohl wir doch total verschieden waren. So heirateten wir. Erst  nach der Geburt unserer Tochter begriff ich, wie stark wir uns unterschieden und dass das Leben einer Frau ganz anders verläuft als das der Männer aus unseren Kreisen. Zudem war mein Aufenthalt an die Arbeitsbewilligung gekoppelt, und mein Vertrag mit der Versicherung wurde nach der Geburt meiner Tochter nicht verlängert. Dank guter Referenzen und meiner Französischkenntnisse fand ich beim damaligen Simca-Importeur eine für mich massgeschneiderte Stelle. Alles stimmte, auch heute kann man von einer solchen Anstellung nur träumen. Während acht Jahren durfte ich einmal jährlich nach Paris, 1974 war ich sogar drei Monate lang im Austausch an den Champs Elysées. Diese Jahre waren für mich in jeder Hinsicht fruchtbar, denn ich bekam zwei weitere Kinder und beendete meine Ausbildung. Leider wurde nach der Übernahme durch Peugeot im Jahr 1981 erwartet, dass man nach Bern übersiedelt. Durch Zufall fand ich darauf eine Anstellung bei einer Treuhandfirma in Zug – eine interessante Arbeit; hier konnte ich endlich auch meine buchhalterischen Kenntnisse einsetzen. Es zahlte sich aus, dass ich Deutsch, Englisch und Italienisch gelernt hatte. Zudem wurde «Otopex», eine Tochter der General Trading Company in Zagreb, durch diese Firma vertreten.

Möchtest Du nach Kroatien zurückkehren, oder wirst Du «für immer» hier bleiben?

Früher hatte ich solche Pläne und baute mir, wie viele unsere Landsleute, auch ein Haus für meine Rückkehr aus. Diesen Plan musste ich jedoch verwerfen, ich werde für immer hier bleiben. Ich werde zwar nach Kroatien reisen, solange ich Lust und Kraft habe. Das Haus in Jelsa werde ich wohl verkaufen, weil mir der Gedanke weh tut, dass es fast zehn Monate im Jahr unbewohnt ist. Es gibt vieles, was mich mit Dalmatien und mit Kroatien verbindet. Ich habe das Land von West nach Ost, von Nord nach Süd, von Istrien bis Prevlaka bereist. Aus heutiger Sicht würde ich gerne irgendwo in einem kleinen Küstenort leben und die Inseln den Insulanern überlassen, trotz meiner Vorliebe für Mljet. Seit zwanzig Jahren fahre ich nun in mein Haus nach Jelsa auf der Insel Hvar, aber ich fühle ich mich dort nicht zu Hause. Ich darf sagen, dass mich Sinj mehr mit Dalmatien verbindet als irgend ein anderer Ort an der Küste oder auf den Inseln.

Wenn Du könntest, was würdest Du aus Kroatien in die Schweiz mitbringen? Was würdest Du in der Schweiz ändern? Was gefällt Dir nicht?

Ich gebe zu, dass ich ausser dem Meer hier sonst nichts vermisse. Das Ausländergesetz würde ich sofort ändern, würde die Gleichstellung aller Schüler verlangen, unabhängig von deren Herkunft. Den Eltern würde ich mehr Verantwortung auferlegen und nicht erlauben, dass sie diese Verantwortung an die Schule oder den Staat abgeben, um ihre familiären Probleme zu lösen. Mit den Befürwortern der Änderung des Bildungssystems zu Gunsten von Migrantenkindern bin ich nicht einverstanden, da dies einer Diskriminierung der Schweizer gleichkäme. Wie bei vielen Migrantenfamilien können sich auch nicht alle Schweizer ausreichend um ihre Kinder kümmern und regelmässig in der Schule erscheinen, um über ihre Kinder zu sprechen – also gleiche Regeln für alle. Migrantenkinder der dritten Generation sollten automatisch eingebürgert werden, unter der Voraussetzung, dass ihre Eltern gut integriert sind. Es gibt auch heute in der Stadt Zürich noch eingebürgerte Schweizer, die kaum Deutsch sprechen und in ihren ursprünglichen, geschlossenen Kreisen leben wie in einem Ghetto.

Und was würdest Du den Kroaten aus der Schweiz mitbringen? Womit würdest Du kroatische Nation bereichern?

Ich würde Kroatien gerne mehr Toleranz mitbringen, etwas mehr Multikulturalität würde auch nicht schaden. Die Korruption müsste strengstens bestraft, die Löhne müssten dem Preisniveau von Waren und Dienstleistungen angepasst werden. Den Regierenden sollte man beibringen, dass sie vom Volk bezahlt werden und ihm deshalb dienen müssen, und mit dem Geld der Steuerzahler, zum Wohl aller, verantwortungsvoll umgehen müssen.

Es dürften keine Baugenehmigungen mehr ohne entsprechende Infrastruktur erteilt werden. Mitbringen würde ich auch die gepflegte Umgebung und die gut organisierte öffentliche Verwaltung. Ich liebe es, mit Ämtern in der Schweiz zusammenzuarbeiten. Hat vielleicht in der Schweiz schon mal jemand irgendwo erlebt, dass die Schalter geschlossen werden, nur weil die Angestellten gerade «Znünipause» machen?

Kannst Du anlässlich des diesjährigen Jubiläums – 50 Jahre Stimm- und Wahlrecht für Schweizerinnen – die Lage der Frauen in der Schweiz kommentieren? Gibt es Unterschiede zur Situation in Kroatien?

Das ist ein sehr interessantes Thema, das mich persönlich stark beschäftigt. Anfang der Siebzigerjahre lernte ich Deutsch unter anderem auch durch das Fernsehen, damals liess ich keine Tagesschau aus. Ich konnte wirklich kaum glauben, dass die Frauen in der Schweiz kein Stimm- und Wahlrecht hatten, auch nicht, dass nur so wenige von ihnen studieren…

Tatsächlich, der Kampf um Gleichberechtigung und Stimmrecht dauerte über 100 Jahre, von 1868 bis 1971, und das ist auch für die Schweiz, in der alles etwas gemächlicher angegangen wird, viel zu lang.

Nachdem die Schweiz 1968 die Europäische Menschenrechtskonvention, unter dem Vorbehalt der politischen Rechte für Frauen, unterzeichnet hatte, kam es zu Protesten von Frauen- und teilweise auch von Männerverbänden. Unter diesem Druck gab Bern nach und liess darüber abstimmen. So geschah es, dass am 7. Februar 1971 die Schweizerinnen endlich Stimm- und Wahlrecht erhielten. Dieser Weg ist im Film «Die göttliche Ordnung» von 2017 hervorragend dargestellt; allen, die ihn noch nicht kennen, sei er wärmstens empfohlen. Die Änderung des Bewusstseins und die Akzeptanz von Frauen als gleichberechtigte Lebewesen dauert aber bis heute an, nicht nur in der Schweiz, sondern auf der ganzen Welt. Frauen müssen sich noch immer mehr beweisen, sie werden öfter kritisiert als ihre männlichen Kollegen. «Frauenrechte» bedeutet nach wie vor nicht das Gleiche wie «Menschenrechte». Im Vergleich mit Männern werden Frauen für gleichwertige Arbeit noch immer schlechter bezahlt, in der Schweiz genau so wie in Kroatien. Man könnte fast sagen, dass sich seit uralten Zeiten kaum etwas verändert hat. Wir finden nur sehr wenige Frauen in Regierungsämtern – es gibt weltweit nur etwa 10 Präsidentinnen. Die erste Regierungschefin überhaupt war Sirimavo Bandanaraike in Sri Lanka. In Parlamenten und in Konzernen auf der ganzen Welt sitzen vorwiegend Männer und entscheiden über den Lauf der Welt, während die Frauen für Familie und Kinder sorgen, die Rolle von Ehefrau und Mutter spielen, sie pflegen pflegen und haben schlechteren Zugang zur Bildung. Die Tendenz, Frauen wieder an den Herd zu verbannen, verbreitet sich in radikalen Kreisen wie ein Lauffeuer, das im Keim erstickt werden muss. Trotz alldem können wir uns privilegiert fühlen, wenn wir die Errungenschaften in der Schweiz oder in Kroatien mit denen der Ländern der sogenannten dritten Welt vergleichen. Für weitere Fortschritte müssen die Frauen unbedingt besser gebildet, ausgebildet und über ihre Rechte informiert werden. Besondere Anstrengungen für den Schutz misshandelter und missbrauchter Frauen und für die Bestrafung der Täter nötig – in der Schweiz genau so wie in Kroatien.

Bereits in früheren Ausgaben der Libra portraitierten wir verdiente Mitglieder des Kroatischen Kulturklubs. Eines dieser Mitglieder ist sicherlich auch Ana Števanja. Der Lebensweg der temperamentvollen und aktiven Dalmatierin war nicht immer einfach und geradlinig, ihre Karriere ist jedoch beneidenswert. Von besonderer Bedeutung ist Ihre Beratungstätigkeit für Kroaten in der Schweiz. Sie ist seit vielen Jahren als Revisorin im Kroatischen Kulturklub tätig und organisierte verschiedene Veranstaltungen – oder nahm an ihnen teil.

Liebe Ana, wie lange bist Du schon in der Schweiz? Wie bist Du überhaupt hier gelandet?

Es ist kaum glaublich, ich bin schon beinahe 50 Jahre hier! Dabei hatte ich ganz andere Pläne und Vorlieben, wenn es darum ging, (falls überhaupt) ins Ausland zu gehen. Ich wollte die Welt sehen, auf den Spuren alter Völker reisen, die Kulturen und Bräuche auf diesem und auf anderen Kontinenten erforschen. Wie vieles in meinem bisherigen Leben passierte die Reise in die Schweiz ungeplant und spontan. Nach der Matura hatte ich mich an der Philosophischen Fakultät in Zagreb für Französisch und Völkerkunde eingeschrieben. Damals studierten auch meine beiden Brüder noch. Da meine Familie nicht vermögend war (mein Vater kam 1954 bei einem Grubenunglück im Kohlebergwerk Sinjska Ruduša ums Leben; meine Mutter wurde zur Witwe mit fünf minder- und einem volljährigen Kind), deshalb hiess es für uns «hilf dir selbst, so hilft dir Gott». Die älteren Geschwister halfen den Jüngeren, soweit ihnen dies möglich war. Es war klar, dass die vorhandenen Mittel nicht genügten, um drei Studenten zu finanzieren, auch wenn die Brüder etwas dazuverdienten. Deshalb tagte in meinem Zimmer im Studentenheim eines Abends der Familienrat. Es wurde gewürfelt und entschieden, dass ich für eine Weile in die Schweiz reisen sollte. Mein verstorbener Bruder Josip (Mag. Ph.) hatte nämlich über Dr. Žarko Dolinar und seinen Trauzeugen, der damals Direktor von Pliva war und eng mit schweizerischen Pharmaunternehmen zusammenarbeitete, eine reiche Familie aus Feldmeilen kennen gelernt. So landete ich als Aupair an der «Goldküste» des Zürichsees, was sich hinterher als glückliche Fügung herausstellte. Das erste Mal war ich 1969 dort, das zweite Mal 1971. Die deutsche Sprache war mir zwar fremd; da ich aber gut Französisch sprach, gab es keine Verständigungsprobleme.

Du bist echte Dalmatierin. Wie war es für Dich, hier zu leben? Wie konntest Du Dich zurechtfinden? Hast Du das dalmatische Temperament und die Sprache vermisst?

Meine Gastfamilie nahm mich wie ein Familienmitglied auf, und sie sprachen Französisch mit mir. Da sie sich oft in Opatija und auf den Brionen aufhielten, konnten sie sogar einige kroatische Wörter. Als Liebhaber naiver Kunst reisten sie auch nach Hlebine, lernten Ivan Generalic kennen und wurden Besitzer von zweien seiner (heute sehr wertvollen) Gemälde. Während meiner ersten sechs Monate in der Schweiz kümmerte ich mich um die damals dreizehnjährige jüngste Tochter der Familie, einen sehr temperamentvollen Teenager (von der ich sehr viel lernen konnte, vor allem Deutsch) und ging viel mit dem Hund spazieren, also fiel es mir nicht schwer, mich zurechtzufinden. Mein dalmatisches Temperament vermisste ich nicht, da ich «brav», leise und noch leiser aufgewachsen war, damit ich um Himmels Willen niemanden störte. So hielt ich mich oft zurück, auch wenn ich mich öfter und mit Recht hätte wehren sollen. Ich muss einen sehr guten Grund dafür haben, laut zu werden; denn ich mag Leute gar nicht, die andere beleidigen und sich verbal aufdrängen, um ihre Ziele schneller zu erreichen.

Was hältst Du von unserem Spruch «ohne Haare auf den Zähnen»? Gibt es das auch hier?

Geradeheraus zu sagen, was man denkt, ist eigentlich nichts Negatives, so lang man die Regeln kultivierter Kommunikation befolgt. Im Kontakten mit meinen Schweizer Freunden konnte ich ab und zu eine versteckte Kommunikation feststellen, bei der Unausgesprochenes wichtiger ist als bei uns. Hier lernte ich, stärker auf Mimik, Gesichtsausdruck und Körperhaltung zu achten, den Blickkontakt zu halten – was vor allem dann nützlich ist, wenn der Geprächspartner nicht dazu bereit ist, seine Meinung geradeheraus zu vertreten. Das ist auch eine Form der interkulturellen Kommunikation, die mithilft, kulturelle Unterschiede zu verstehen und Missverständnisse zu vermeiden. Offene, aufrichtige Menschen sind mir am liebsten. Anstand und gegenseitiger Respekt sind dafür Voraussetzungen. Die Schweizer sind da etwas zurückhaltender als «unsere Leute», was gelegentlich als Nachteil empfunden wird; für mich ist das aber eine Tugend.

Was machtest Du alles nach der Einreise in die Schweiz? Womit beschäftigtest Du Dich?

Damit die Jüngeren unter uns die damalige Zeit besser verstehen, muss man sagen, dass man damals mit der Matura bereits als sehr gebildet galt. In Zürich musste man natürlich auch Deutsch Sprache können, was mir rasch gelang. Nach dem Wegzug von Feldmeilen wohnte ich in Zürich und fand dort dank der Unterstützung einer Mitarbeiterin der kroatischen katholischen Mission einen Bürojob bei der CSS-Versicherung. Dadurch konnte ich meine Ausbildung an der Höheren Fachschule für Wirtschaft fortsetzen und parallel dazu an der Dolmetscherschule Sprachen lernen. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, wie viel uneigennützige Unterstützung und Aufmerksamkeit mir an dieser Arbeitsstelle zuteil wurde.

An einem Sonntag nach der Messe wurde mir mein zukünftiger (jetzt ehemaliger) Ehemann vorgestellt. Er war allein, ich war allein, wir beide waren arm – ich dachte, es wird schon irgendwie gehen, obwohl wir doch total verschieden waren. So heirateten wir. Erst  nach der Geburt unserer Tochter begriff ich, wie stark wir uns unterschieden und dass das Leben einer Frau ganz anders verläuft als das der Männer aus unseren Kreisen. Zudem war mein Aufenthalt an die Arbeitsbewilligung gekoppelt, und mein Vertrag mit der Versicherung wurde nach der Geburt meiner Tochter nicht verlängert. Dank guter Referenzen und meiner Französischkenntnisse fand ich beim damaligen Simca-Importeur eine für mich massgeschneiderte Stelle. Alles stimmte, auch heute kann man von einer solchen Anstellung nur träumen. Während acht Jahren durfte ich einmal jährlich nach Paris, 1974 war ich sogar drei Monate lang im Austausch an den Champs Elysées. Diese Jahre waren für mich in jeder Hinsicht fruchtbar, denn ich bekam zwei weitere Kinder und beendete meine Ausbildung. Leider wurde nach der Übernahme durch Peugeot im Jahr 1981 erwartet, dass man nach Bern übersiedelt. Durch Zufall fand ich darauf eine Anstellung bei einer Treuhandfirma in Zug – eine interessante Arbeit; hier konnte ich endlich auch meine buchhalterischen Kenntnisse einsetzen. Es zahlte sich aus, dass ich Deutsch, Englisch und Italienisch gelernt hatte. Zudem wurde «Otopex», eine Tochter der General Trading Company in Zagreb, durch diese Firma vertreten.

Möchtest Du nach Kroatien zurückkehren, oder wirst Du «für immer» hier bleiben?

Früher hatte ich solche Pläne und baute mir, wie viele unsere Landsleute, auch ein Haus für meine Rückkehr aus. Diesen Plan musste ich jedoch verwerfen, ich werde für immer hier bleiben. Ich werde zwar nach Kroatien reisen, solange ich Lust und Kraft habe. Das Haus in Jelsa werde ich wohl verkaufen, weil mir der Gedanke weh tut, dass es fast zehn Monate im Jahr unbewohnt ist. Es gibt vieles, was mich mit Dalmatien und mit Kroatien verbindet. Ich habe das Land von West nach Ost, von Nord nach Süd, von Istrien bis Prevlaka bereist. Aus heutiger Sicht würde ich gerne irgendwo in einem kleinen Küstenort leben und die Inseln den Insulanern überlassen, trotz meiner Vorliebe für Mljet. Seit zwanzig Jahren fahre ich nun in mein Haus nach Jelsa auf der Insel Hvar, aber ich fühle ich mich dort nicht zu Hause. Ich darf sagen, dass mich Sinj mehr mit Dalmatien verbindet als irgend ein anderer Ort an der Küste oder auf den Inseln.

Wenn Du könntest, was würdest Du aus Kroatien in die Schweiz mitbringen? Was würdest Du in der Schweiz ändern? Was gefällt Dir nicht?

Ich gebe zu, dass ich ausser dem Meer hier sonst nichts vermisse. Das Ausländergesetz würde ich sofort ändern, würde die Gleichstellung aller Schüler verlangen, unabhängig von deren Herkunft. Den Eltern würde ich mehr Verantwortung auferlegen und nicht erlauben, dass sie diese Verantwortung an die Schule oder den Staat abgeben, um ihre familiären Probleme zu lösen. Mit den Befürwortern der Änderung des Bildungssystems zu Gunsten von Migrantenkindern bin ich nicht einverstanden, da dies einer Diskriminierung der Schweizer gleichkäme. Wie bei vielen Migrantenfamilien können sich auch nicht alle Schweizer ausreichend um ihre Kinder kümmern und regelmässig in der Schule erscheinen, um über ihre Kinder zu sprechen – also gleiche Regeln für alle. Migrantenkinder der dritten Generation sollten automatisch eingebürgert werden, unter der Voraussetzung, dass ihre Eltern gut integriert sind. Es gibt auch heute in der Stadt Zürich noch eingebürgerte Schweizer, die kaum Deutsch sprechen und in ihren ursprünglichen, geschlossenen Kreisen leben wie in einem Ghetto.

Und was würdest Du den Kroaten aus der Schweiz mitbringen? Womit würdest Du kroatische Nation bereichern?

Ich würde Kroatien gerne mehr Toleranz mitbringen, etwas mehr Multikulturalität würde auch nicht schaden. Die Korruption müsste strengstens bestraft, die Löhne müssten dem Preisniveau von Waren und Dienstleistungen angepasst werden. Den Regierenden sollte man beibringen, dass sie vom Volk bezahlt werden und ihm deshalb dienen müssen, und mit dem Geld der Steuerzahler, zum Wohl aller, verantwortungsvoll umgehen müssen.

Es dürften keine Baugenehmigungen mehr ohne entsprechende Infrastruktur erteilt werden. Mitbringen würde ich auch die gepflegte Umgebung und die gut organisierte öffentliche Verwaltung. Ich liebe es, mit Ämtern in der Schweiz zusammenzuarbeiten. Hat vielleicht in der Schweiz schon mal jemand irgendwo erlebt, dass die Schalter geschlossen werden, nur weil die Angestellten gerade «Znünipause» machen?

Kannst Du anlässlich des diesjährigen Jubiläums – 50 Jahre Stimm- und Wahlrecht für Schweizerinnen – die Lage der Frauen in der Schweiz kommentieren? Gibt es Unterschiede zur Situation in Kroatien?

Das ist ein sehr interessantes Thema, das mich persönlich stark beschäftigt. Anfang der Siebzigerjahre lernte ich Deutsch unter anderem auch durch das Fernsehen, damals liess ich keine Tagesschau aus. Ich konnte wirklich kaum glauben, dass die Frauen in der Schweiz kein Stimm- und Wahlrecht hatten, auch nicht, dass nur so wenige von ihnen studieren…

Tatsächlich, der Kampf um Gleichberechtigung und Stimmrecht dauerte über 100 Jahre, von 1868 bis 1971, und das ist auch für die Schweiz, in der alles etwas gemächlicher angegangen wird, viel zu lang.

Nachdem die Schweiz 1968 die Europäische Menschenrechtskonvention, unter dem Vorbehalt der politischen Rechte für Frauen, unterzeichnet hatte, kam es zu Protesten von Frauen- und teilweise auch von Männerverbänden. Unter diesem Druck gab Bern nach und liess darüber abstimmen. So geschah es, dass am 7. Februar 1971 die Schweizerinnen endlich Stimm- und Wahlrecht erhielten. Dieser Weg ist im Film «Die göttliche Ordnung» von 2017 hervorragend dargestellt; allen, die ihn noch nicht kennen, sei er wärmstens empfohlen. Die Änderung des Bewusstseins und die Akzeptanz von Frauen als gleichberechtigte Lebewesen dauert aber bis heute an, nicht nur in der Schweiz, sondern auf der ganzen Welt. Frauen müssen sich noch immer mehr beweisen, sie werden öfter kritisiert als ihre männlichen Kollegen. «Frauenrechte» bedeutet nach wie vor nicht das Gleiche wie «Menschenrechte». Im Vergleich mit Männern werden Frauen für gleichwertige Arbeit noch immer schlechter bezahlt, in der Schweiz genau so wie in Kroatien. Man könnte fast sagen, dass sich seit uralten Zeiten kaum etwas verändert hat. Wir finden nur sehr wenige Frauen in Regierungsämtern – es gibt weltweit nur etwa 10 Präsidentinnen. Die erste Regierungschefin überhaupt war Sirimavo Bandanaraike in Sri Lanka. In Parlamenten und in Konzernen auf der ganzen Welt sitzen vorwiegend Männer und entscheiden über den Lauf der Welt, während die Frauen für Familie und Kinder sorgen, die Rolle von Ehefrau und Mutter spielen, sie pflegen pflegen und haben schlechteren Zugang zur Bildung. Die Tendenz, Frauen wieder an den Herd zu verbannen, verbreitet sich in radikalen Kreisen wie ein Lauffeuer, das im Keim erstickt werden muss. Trotz alldem können wir uns privilegiert fühlen, wenn wir die Errungenschaften in der Schweiz oder in Kroatien mit denen der Ländern der sogenannten dritten Welt vergleichen. Für weitere Fortschritte müssen die Frauen unbedingt besser gebildet, ausgebildet und über ihre Rechte informiert werden. Besondere Anstrengungen für den Schutz misshandelter und missbrauchter Frauen und für die Bestrafung der Täter nötig – in der Schweiz genau so wie in Kroatien.

Quelle: Libra 50

Text: Nikolina Cukrov Lovrić

Übersetzung ins Deutsche: Ana Števanja

Foto: von Ana Števanja, privat