– Wo wurden Sie geboren?
Ich kam in Sinj zur Welt, einem Städtchen in einer wunderschönen, grünen Oase voller Sonne, Felsen, fliessendem, trinkbarem Wasser, fruchtbaren Feldern in der Dalmatinischen Zagora – an einem Ort, reich an Tradition und Volksbräuchen, «ojkanje», «dernek», Ritterspielen… In Sinj schloss ich Grund- und Mittelschule ab und nahm, zum Studium in Sarajevo, einen Koffer voller Phantasie mit, voller unerzählter Geschichten, mit welchen ich aufgewachsen war.
– Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit? Welche Bilder, Menschen, Ereignisse, Erlebnisse nahmen Sie mit?
Seit ich klein war, erlebte ich meine Heimat als einen Ort übernatürlicher Energie und spiritueller Kräfte, der von für das menschliche Auge unsichtbaren guten Feen bewacht wird. Sie bekommen Besuch von verschiedenen mythischen Märchengestalten, die in der Umgebung des Flusses Cetina zahlreich vorkommen. Als Kind hörte ich von Älteren Geschichten darüber und verbrachte Zeit damit, sie im Spiel auf Wiesen, in Obstgärten und Weinbergen, im Wald und am Bach zu suchen. Im Sommer entdeckte ich die Geheimnisse des Kiefernhains oberhalb unserer Häuser, und im Winter, wenn ich mit meinem Vater nach einem Christbaum suchte, schüttelte ich Schnee von den Tannenzweigen und sammelte Moos. Ich stellte mir vor, wie das Moos vom immergrünen Efeu gewoben und mir von den Feen hinterlassen wurde. In meinen Sinnen blieben Gerüche, Geräusche, Farben, Hoffnungen, Wünsche, Vorahnungen von früher haften. Ich vermute, dass es Wally Neuzil, der Muse des österreichischen Malers Egon Schiele, im September 1917 bei ihrer Ankunft in meiner Heimat ähnlich ergangen sein könnte, und so hielt ich das das auch in meinem neuen Roman, dem Rezept für die «Sinjer Arambaše» fest:
«…Vor ihren Augen materialisierte sich, diesmal aber in Wirklichkeit, wieder dasselbe sanfte Tal mit dem grünen Hügel in der Mitte, mit den Mauerresten der längst verfallenen mittelalterlichen Festung, der Kapelle auf dem Gipfel, das sie schon seit langer Zeit, seit ihren Kindheitsfantasien kannte, und von dem sie unzählige Male geträumt hatte. Ihr Lebensweg führte sie zurück an diesen in einem früheren Leben bekannten, einzigartigen Ort. Als sie ihn betrat, fühlte sie sich unbeschreiblich, auserwählt und erhaben, als beträte sie das Heim von Schamanen, Zauberern, guter Feen… In diesen magischen Momenten traf sie auf einen neuen, fremden und doch völlig vertrauten, mütterlichen Glauben an Spiritualität und übersinnliche Mächte dieser verschlafenen Umgebung…»
– War schon Ihre Kindheit und Schulzeit von der Liebe zum Schreiben geprägt, oder entdeckten Sie diese Neigung erst später?
Schreiben bedeutet für mich die Entdeckung der Geheimnisse meiner eigenen Vorstellungskraft, der die Gene für fantastische Welten in meinem Inneren nicht widerstehen konnten, seit ich die ersten Buchstaben erlernt hatte. Schon in der frühen Kindheit, als ich noch nicht wusste, wie man Sätze bildet, dachte ich mir Geschichten aus, welche meinen Kopf zum Klingen brachten. Ich lebte immer in zwei parallelen Welten – in dieser realen, äusseren, und in meiner eigenen, der inneren. In dieser im Innern fühle ich mich viel glücklicher.
– Sie lebten in Bosnien und in der Schweiz. Wo und wann fühlten Sie sich zufriedener?
Die Emigration in die Schweiz beschleunigte das Schwungrad meines Schreibens. Je weiter ich mich von der Heimat entfernte, desto tiefer blieb meine Fantasie in ihr verwurzelt. Und so tauchte ich, ich weiss selbst nicht mehr genau, wann und wo es geschah, die Feder ins Tintenfass. Die Geschichten setzten sich in Bewegung, am Anfang schnell und wild, sie vertieften die Schlucht des Ungesagten, um später ruhiger zu fliessen, verzweigt wie die blaue Dame Cetina, wenn sie ihre Arme ausbreitet und das unendliche Meer umarmt. Die Schreibzeit, die noch immer andauert, ist für mich eine glückliche Zeit.
– Was war für Sie das Schwierigste, was das Schönste in der Fremde?
Am schwierigsten war für mich die Erkenntnis, in einer fremden Welt zu sein; das Schönste, dass ich in dieser fremde Welt lernen und mich entwickeln konnte, Fortschritte machen und meine Träume verwirklichen konnte. Und so kamen wir einander näher, ich und diese fremde Welt, wir freundeten uns an und akzeptierten einander – ich sie, als die beste meiner Welten, und sie mich, als einen wertvollen Teil von ihr. Der Blick zurück in die Welt, aus der ich stamme, fällt mir deswegen schwer; diese Welt, die ich zurückliess und die, so scheint es mir, kaum vom Fleck kommt. Im Gegenteil, ich bin sicher, dass sie in einigen wichtigen Aspekten von Tag zu Tag immer mehr hinter sich selbst zurückbleibt. Das macht mich sehr traurig.
– Sie sind von Beruf Lehrerin und Bibliothekarin. Brachte Ihnen diese Arbeit Erfahrungen, Wissen und neue Erkenntnisse, die Ihnen später in der schriftstellerischen Arbeit von Nutzen waren?
Natürlich. Schreiben ist harte Arbeit, und wenn Sie darin nicht geschult sind, können Sie rasch in eine Situation geraten wie damals Sisyphos – es sei denn, Sie hätten aussergewöhnliches Talent. Belesenheit ist in jedem Fall das Werkzeug eines jedes Schriftstellers, und die Nähe zu Büchern ist Wärme, Sicherheit, Verlässlichkeit. Ein Buch in der Hand bringt Ruhe und Zufriedenheit ins Herz.
– Wo fühlen Sie sich zu Hause?
In mir selbst und in meinen Gedanken, am Computer und in meinem Text. Dies sind meine am meisten bewohnten, privaten Orte. Geografisch habe ich das Gefühl, nirgends hinzugehören. Trotzdem liebe ich mein Zuhause in der Schweiz immer mehr, aber vertraue mich auch meinem Stückchen Paradies im Dolac bei Primosten an. Dort ist meine Seele am «richtigen Ort», erfüllt von Inspiration für neue Texte.
– Durch welchen Schriftsteller wurden Sie am stärksten beeinflusst?
Ich liebe Bücher, ich las und lese noch immer viel, manchmal vielleicht sogar zu viel. In meiner Jugend liebte ich die Antike, Renaissance, Romantik, amerikanische Schriftsteller, ich verschlang Marinković und quälte mich mit Krleža, der heute meine Nummer eins ist; ich war verrückt nach den russischen Klassikern, und träumte davon, eines Tages auch eine grosse Erzählerin zu werden, so wie Tolstoi… Von klein an bewunderte ich Marija Jurić Zagorka und Ivana Brlić Mažuranić. Da ich aber aus einem heroischen, «alkarischen», aber auch harten, traditionellen Gebiet komme, wo es eine unglückliche Fügung war, als Frau geboren zu werden, hinterliess Der Regenbogen einen ersten, unvergesslichen Eindruck auf mich – die bekannte Erzählung von Dinko Šimunović. Dem zehnjährigen Mädchen Srna, das aus einer wohlhabenden Familie kommt, das im erfundenen Dorf Čardaci lebt, und dessen Träume und Sehnsüchte in einem fernen, himmlischen Regenbogen blieben, versprach ich, mich zu bemühen, sie auf die Erde zu holen und zu verwirklichen.
– Wen lesen Sie am liebsten?
Literatur von Frauen, die ausländischen und die einheimischen. Je älter ich werde, desto weniger finde ich mich in der von Männern geschaffenen Literatur widergespiegelt, am wenigsten in derjenigen, welche dominiert wird von bewusster oder unbewusster Darstellung des Strebens nach Überlegenheit, der Betonung von Muskeln und der Libido. Meine Literatur ist weiblich, weich, mitfühlend, aufrichtig, scharfsinnig, weise, besonnen…
– Wurden Ihre Bücher in andere Sprachen der Region oder auf Deutsch übersetzt?
Mein Roman Die Blume von Bosnien erschien auf Bosnisch im Verlag Dječja knjiga (Das Kinderbuch), Sarajevo. Vorerst hoffe ich auf eine Übersetzung meines Romans Dolina trnja (Das Tal der Dornen) ins Deutsche; danach sehen wir weiter. Die Zukunft ist ungewiss, und wir wissen nie, was sie uns bringen wird.
– Gibt es Berührungspunkte mit der kroatischen «Schweizer Literaturszene»?
Da ich in der Schweiz lebe und arbeite, ist es für mich schwierig und umständlich, in Kroatien für meine Bücher zu werben. Ich habe auch keine Möglichkeit, mich in kroatischen literarischen Kreisen zu bewegen. Ohne Bekanntschaften und ohne die Unterstützung von Kollegen, vor allem, wenn das Engagement eines Verlags fehlt, kommt der Erfolg langsamer. Trotzdem glaube ich an das, was ich mache, und ich habe Freude daran. Ich verfolge die schweizerische Literaturszene, da ich aber in meiner Muttersprache schreibe, kann ich mich nicht aktiv daran beteiligen.
– Welchen Status haben Sie in kroatisch-schweizerischen literarischen Kreisen?
In der Schweiz nahm ich an den 43. Solothurner Literaturtagen teil; ich konnte meine Arbeit vorstellen, was eine schöne Erfahrung für mich war. Ich bin den Organisatoren dankbar für ihre Einladung und die Gelegenheit, die sie mir boten. Es ist schön, zu wissen, dass ich als Schweizerin, die auf Kroatisch schreibt – also in keiner der Schweizer Landessprachen – nicht unbemerkt geblieben bin. In Kroatien gehöre ich nicht zu den bekannten Autorinnen, doch auch dort habe ich dank der Qualität meiner Texte einen eigenen, wohlverdienten Platz, und meine Werke werden gelesen.
– Was gab und gibt der Schriftstellerin in Ihnen stärksten Rückenwind?
Die Liebe zu den Geheimnissen, die zwischen den Buchdeckeln und auf jeder nach Tinte riechenden Seite verborgen sind.
– Was war das stärkste Motiv, Ihr stärkster Anreiz?
Ich weiss wirklich nicht, ob ich so etwas je gebraucht hätte. Schreiben ist in meinen Adern und Zellen; ich brauche es wie die Luft zum Atmen, wie Wasser, wie Nahrung, und wie Bedeutung.
– Wie reagierte und reagiert Ihre Familie auf ihre Arbeit (Eltern, Kinder, Ehemann, enge Verwandte)?
Meine Söhne sind erwachsen und leben ihr eigenes Leben. Natürlich freuen sie sich auf jedes neue Buch von mir, und sie freuen sich, weil sie spüren, dass auch ich mich darüber freue. Mein Mann steht mir bei, als verlässlichster Rückhalt und als meine stärkste Stütze.
– Hätten Sie einen Zauberstab, was würden Sie in Zukunft an Ihrer Arbeit und an allem Anderen ändern?
Ich würde ihn schwingen und mich in der Gesellschaft kompetenter, an meinen Werken interessierter Mitarbeiter wiederfinden, von Menschen, die meine Texte vor der Veröffentlichung wirklich sorgfältig lesen und mir Korrekturen und Ergänzungen vorschlagen. Schreiben ist ein einsames Handwerk, doch das Veröffentlichen eines fertigen Manuskripts erfordert gut koordinierte Teamarbeit. Ich würde jedes meiner neuen Bücher mit diesem Zauberstab berühren und es einen Weg zu möglichst vielen Menschen finden lassen. Ich würde auch die Leser verzaubern, damit sie beim Lesen die gleiche Liebe verspüren, die ich ins Schreiben investierte.