Vernissage eines Buches, in dem Menschen aus Ex-Jugoslawien erzählen
Für viele Schweizerinnen und Schweizer ist der Balkan noch immer ein weisser Fleck auf der Landkarte Europas, sagt die Autorin Annemarie Morgenegg, Schweizer Theaterschaffende, passionierte Reisende und Schriftstellerin aus Bern.

Vor einigen Jahren beschloss sie, mit ihrem VW-Bus auf den Westbalkan zu fahren. Ihre Freunde warnten sie, es sei zu gefährlich wegen der wilden und unfreundlichen Menschen, die sie zumindest ausrauben würden. Doch sie liess sich nicht von ihrer Idee abbringen. Auf der Reise hat sie viel erlebt und viele Menschen kennengelernt. Sie war tief beeindruckt von ihrer Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Freundlichkeit. Sie sammelte viele Eindrücke, und zwar nur positive.
Zurück in der Schweiz wollte sie sich bei den Menschen bedanken, die sie so herzlich aufgenommen hatten. Die Frage war nur – wie? So kam sie auf die Idee, mit Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Schweiz in Kontakt zu treten und ihre Geschichten aufzuschreiben. Daraus ist ein Buch entstanden, das am 7. September 2023 im Generationenhaus Bern eingeweiht wurde.


Alexander Siegenthaler vom Forum Ost-West eröffnete den Abend. Tina Uhlmann, Lektorin und Verlegerin beim Verlag Sage und Schreibe, erwähnte, dass sie von den Erzählungen der Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien beeindruckt war und sich schnell entschloss, das Buch zu veröffentlichen.

Die Autorin Annemarie Morgenegg hat mit Menschen aus dem ganzen ehemaligen Land gesprochen und 21 interessante Beiträge veröffentlicht. Man sieht, dass alle aufrichtig und mit offenem Herzen mit ihr sprachen. Einige entschieden sich jedoch, ihren Beitrag unter einem Pseudonym veröffentlichen zu lassen, wohl gerade, um sich freier äussern zu können. Sie sprachen über ihre Kindheit, die sie bis zum Krieg ausnahmslos als glücklich beschreiben, über die Schulzeit, über familiäre Beziehungen, über die Jobs, die sie bekommen konnten oder nicht, darüber, wie sie beschlossen, für ein, zwei Jahre zum Arbeiten in die Schweiz zu kommen und blieben bis zur Pensionierung oder danach, oder aus Liebe. Für alle in der Schweiz war es am Anfang schwierig, egal ob sie bereits Deutsch konnten oder nicht, sie mussten neue Gepflogenheiten akzeptieren, von den einfachsten Alltagsgewohnheiten bis hin zu spezifischen Geschäftsgewohnheiten. Einer der Teilnehmer fragt sich, wieso in der Schweiz alle genau um 12 Uhr zu Mittag essen, ob alle gleichzeitig hungrig sind?
Der Krieg wird in allen Beiträgen erwähnt, Slowenen erwähnen ihn nebenbei, Kroaten etwas intensiver, während für Bosniaken, Serben und Kosovaren der Krieg das Hauptthema und ein Ereignis ist, das ihr Leben stark geprägt hat. Die Traumata aus dieser Zeit scheinen noch in ihnen zu leben, obwohl sie im Laufe der Zeit durch neue Ereignisse und Erfahrungen in der Schweiz verdrängt wurden.
Die Autorin Annemarie Morgenegg las einige Kapitel aus dem Buch, vor allem über den Krieg in Bosnien, das Leben in Serbien und die Ankunft in der Schweiz. Werner van Gent, langjähriger SRF-Balkankorrespondent, der auch das Vorwort zum Buch geschrieben hat, moderierte die anschliessende Diskussion. Einleitend bemerkte er, wie treffend das Bild einer Leitplanke auf dem Buchumschlag sei, hinter der typische Balkanhäuser zu sehen sind.

Vesna Burkhalter und Amir Sarvan, die beiden Erzähler des Buches, nahmen an der Diskussion teil. Der Schwerpunkt lag schon auf dem Jugoslawienkrieg, wobei betont wurde, dass es nicht um die Politik, sondern um die Menschen geht. Ein Vergleich konnte zwischen Srebrenica und Karabach gezogen werden, da in beiden Orten die Menschen lange eingekesselt waren und verhungerten.
Das Buch und die anschliessende Diskussion ermöglichten den Anwesenden einen Einblick in die Lebenswege, die Gefühle, das Verständnis und die Schwierigkeiten einer grossen Zahl von Einwanderern, ihre Sicht auf die Länder, aus denen sie gekommen sind, aber auch auf ihre neue Heimat, die Schweiz. Die Tatsache, dass Slowenien und Kroatien zwar Mitglieder der Europäischen Union sind, aber unter dem Begriff Westbalkan zusammengefasst wurden, spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Das hat die Slowenische Botschaft in der Schweiz nicht davon abgehalten, die Herausgabe dieses Buches zu unterstützen. Das Publikum im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal war gemischt. Die Botschaft, die alle mitnahmen, war positiv und sehr willkommen.
Der Moderator fragte die Autorin, ob sie von einem Schlüsselerlebnis berichten könne. Dies geschah in einem Dorf in Albanien, wo sie keinen Campingplatz finden konnte. Sie durfte im Hof einer Bar übernachten und Strom anschliessen. Der Barbesitzer bemerkte jedoch sofort, dass der Auspuff ihres Busses kaputt war und ausgetauscht werden musste. Er schlug vor, dass ein Freund, der eine Autowerkstatt hat, das machen könnte. Annemarie willigte ein, unter der Bedingung, dass sie am nächsten Morgen um 10 Uhr weiterfahren könne. Als der Barbesitzer mit dem Bus wegfuhr, fiel ihr ein, dass alle ihre Dokumente, Geldreserven usw. im Bus zurückgelassen worden waren. Dies sei die einzige Nacht gewesen, in der sie schlecht geschlafen habe. Sie fragte sich, ob sie ihren Bus jemals wiedersehen würde. Aber am nächsten Morgen, 5 Minuten vor 10 Uhr, wurde ihr VW, an dem nichts fehlte, mit einem neuen Auspuff zurückgebracht.

Es waren zwei kurze Stunden, die sehr passend musikalisch von Akkordeon Virtuose Dejan Škundrić begleitet wurden.
Text und Fotos: Vesna Polić Foglar