Kroatien bringt man fast nur mit Ferien am Meer in Verbindung, obwohl es unzählige Wandermöglichkeiten gibt. Vor allem in der ruhigen Nebensaison im Frühling oder Herbst bieten Wanderungen die Möglichkeit, das Land aus einer anderen Perspektive zu sehen. So wie diesen Frühling auf den höchsten Punkt Kroatiens: der Dinara, auch Sinjal genannt.
In der Schweiz wirbt das Jungfraujoch mit dem Slogan „Top of Europe“ um Touristen. Das kommt daher, weil die Bahnstation auf dem Jungfraujoch die höchstgelegene Europas ist (auf 3454 Metern über Meer). Der höchste Punkt der Schweiz liegt hingegen im MonteRosa-Massiv im Kanton Wallis nahe der italienischen Grenze: Die Dufourspitze überragt mit 4634 Metern über Meer alle anderen Berggipfel der Schweiz.
Mit diesen alpinen Gipfelhöhen kann Kroatien nicht mithalten: Mit exakt 1830,91 Metern über Meer bildet der Berggipfel Dinara oder Sinjal, wie ihn die Einheimischen nennen (abgeleitet von „Signal“, dem Vermessungspfeiler), den höchsten Punkt Kroatiens. Geübte und trainierte Wanderer können ihn mit gutem Schuhwerk problemlos in einer Tageswanderung erreichen.
Viele Wege führen zur Dinara
Das über 600 km lange Dinarische Gebirge erstreckt sich von den Julischen Alpen in Nordostitalien bis nach Nordalbanien. Die höchsten Gipfel liegen nicht in Kroatien, sondern in Montenegro (Bobotok Kuk, 2522 m) und in Albanien (Maja Jezercë, 2694 m). Hinter Knin und nahe Kijevo im dalmatinischen Hinterland erhebt sich fast schon majestätisch jener Teil des Dinarischen Gebirges, auf dem der höchste Punkt Kroatiens liegt.
Verschiedene Wege können für den Aufstieg gewählt werden: Von links her mit Start bei der Wanderhütte „Brezovac“, die wenige Kilometer nordöstlich von Knin liegt; von rechts mit Start im Weiler Glavaš in der Nähe von Kijevo. Oder man beginnt in Uništa, einem kleinen Dorf, das zwar in Bosnien und Herzegowina liegt, aber nur über Kroatien mit dem Auto erreichbar ist (auch die anderen zwei Ausgangspunkte sind nur mit dem Auto erreichbar). Wir wählen den Weg von Glavaš, das auf 620 Metern über Meer liegt. Vor uns liegen rund 1200 Höhenmeter bis zur Spitze.

Befestigung, Schutzhütte und Bergkappelle
Der Weg ist gut ausgeschildert: rotweiss-rote Markierungen weisen uns den Weg. An diesem Tag ist es rund 25 Grad warm, aber die Bora, der für Kroatien typische Nordwind, bläst uns harsch ins Gesicht und lässt die Wärme nicht spüren. Beim Aufstieg sind wir froh darum.
Gleich hinter Glavaš steht ein Stück Geschichte: eine steinerne Befestigung aus der Zeit zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert. Sie ist die einzige von 12 Festungen, die noch erhalten ist. Ihr Zweck war die Abwehr osmanischer Angriffe.
Die Wiesen sind satt grün, farbige Bergblumen säumen unseren Weg, und der typische Karst verleiht der Landschaft einen mythischen Anblick. Immer wieder legen wir eine Pause ein, um Ruhe und Aussicht zu geniessen.
Auf 1300 Metern über Meer erreichen wir eine kleine Hochebene. Mit Steinen abgegrenzte Felder und zerfallene Steinhäuser zeugen davon, dass hier wohl früher Felder bewirtschaftet oder Vieh auf die Alp getrieben wurde. Bei Wetterumschwung können Wanderer in der Schutzhütte „Martinova Košara“ auf besseres Wetter hoffen und warten.
Hinter der Hütte auf einer kleinen Anhöhe fällt uns ein Rednerpult aus Stein auf. Wir gehen hin und sehen, dass es kein Rednerpult sondern ein „Altar“ ist. Dahinter ist ein Kreuz aus Holz und darüber eine kleine Glocke. Auf eine Steinplatte gemeisselt ist zu lesen, dass dies die Kapelle des Heiligen Elija ist (crkva Svetog Ilije), also eine „Open-Air-Kirche“. Ebenfalls in einen Stein gemeisselt steht, dass am 20. Juli 1999, dem Heiligentag von Elija, erneut eine Messe abgehalten wurde, nachdem dies 1941 verboten worden war. Wie Einheimische berichten, wird nach wie vor jährlich eine Messe hier oben abgehalten. Wahrscheinlich ist man Gott selten so nah wie hier oben.

Gästebuch auf 1830,91 m ü. M.
Nach einer kleinen Rast bei der Schutzhütte gehen wir weiter. Die letzte Stunde des insgesamt vierstündigen Aufstiegs ist die anstrengendste. Der Weg führt nun nicht mehr über kleine Wiesenwege: Wir müssen über grosse Steine klettern, was gute Trittsicherheit erfordert. Doch die wunderschöne Aussicht in alle vier Himmelsrichtungen ist der Lohn für den anstrengenden Aufstieg: Wir sehen den Peruća-See in Richtung Split; Knin liegt uns praktisch zu Füssen, und östlich zieht das Dinarische Gebirge weiter Richtung Bosnien.
Beim Aufstieg sind wir nur sechs Wanderern begegnet. Doch auf der Spitze lernen wir eine Gruppe junger Leute kennen. Sie sind Angehörige des Bergsteigerverbandes aus Vukovar. Für das Gruppenfoto halten sie eine kroatische Fahne hoch. Wir müssen schmunzeln, weil wir in der Schweiz noch nie jemanden gesehen haben, der sich auf einem Berg mit der Schweizer Fahne ablichten lässt.
Wir tragen uns in das Gästebuch ein. Die meisten Einträge stammen von Besuchern aus Kroatien, die anderen aus Tschechien, Polen, Deutschland, Österreich, Serbien oder Bosnien und Herzegowina. Unser Eintrag ist einer der wenigen, wenn nicht der einzige aus der Schweiz.
Bescheidene Infrastruktur, aber unentdeckte Wanderparadiese
Anders als auf vielen Bergen in der Schweiz wartet kein Bergrestaurant auf die hungrigen und durstigen Wanderer. Picknick ist angesagt und ein Muss, denn auf dem Weg gibt es nur zwei Wasserquellen. Es führt auch keine Seilbahn hinauf und hinunter. So bleibt uns nichts anderes übrig, als wieder zu Fuss den gleichen Weg abzusteigen. Nach drei Stunden sind wir müde aber glücklich wieder bei unserem Auto angekommen. Trotz der bescheidenen Infrastruktur ist diese Wanderung jedem zu empfehlen, der genug fit ist, weil man in einem Tag auf- und wieder absteigen muss.
Wem dies zu anstrengend ist, dem seien die vielen Nationalparks zu empfehlen, wo es ebenfalls unzählige Wanderwege gibt. Denn Kroatien ist viel mehr als Meer – es ist auch ein Wanderparadies. Die Website des Kroatischen Bergsteigerverbandes (www.hpk.ch) bietet viele Informationen rund um das Wandern (leider nur auf Kroatisch). Eine Beschreibung zur Dinara gibt es allerdings auch auf Englisch: http://www.hps.hr/english/dinara/.
Im Internet jedoch findet man über Google viele Einträge und Wandertipps für Kroatien, wie z.B.:
https://www.kroati.de/kroatien-infos/wandern-kroatien.html
http://www.nzz.ch/nicht-einmal-segeln-waere-schoener-1.18090049
Tekst: Sandra Grizelj
Prijevod: Danijela Dobrić Stanović