Beim Stöbern in einer Buchhandlung in der Schweiz ist es praktisch unmöglich, dass man auf ein Regal stösst, auf welchem ausschliesslich kroatische Literatur offeriert wird. Viel eher trifft man «kroatische Bücher» neben Werken von Autorinnen und Autoren aus Bosnien, Serbien und anderen osteuropäischen Ländern an. Oder natürlich in der Sprachabteilung; dies ist aber auf grössere Buchhandlungen beschränkt.
Der Schweizer Literatur geht es in Kroatien nicht anders. Dasselbe gilt also auch in umgekehrter Richtung. Ein Fokus auf Schweizer Bücher ist in einer Buchhandlung in Kroatien sehr unüblich. Max Frisch oder Friedrich Dürrenmatt werden der deutschsprachigen Literatur zugeordnet – sie stehen in der Nähe deutscher und österreichischer Werke. Aus diesem Blickwinkel scheinen die Buchwelten in Kroatien und der Schweiz zwar sehr ähnlich, dennoch könnten bei einem direkten Vergleich die beiden Büchermärkte unterschiedlicher nicht sein. Wie ist das möglich?
Schon bei der ersten Recherche zeigt sich: Der Schweizer Büchermarkt ist viel ökonomischer und besser strukturiert aufgebaut als der kroatische. Auch sehr detaillierte Statistiken und Verkaufszahlen lassen sich leicht finden. Die Daten zeigen auch die Lesebereitschaft der Schweizerinnen und Schweizer in den unterschiedlichen Altersgruppen auf. Wie gerne und wie viel die kroatische Bevölkerung liest, lässt sich hingegen nur grob schätzen. Der kroatische Büchermarkt wirkt im Vergleich zwar viel enthusiastischer, aber eine ökonomische Struktur gibt es nicht wirklich.
2013 haben Kulturschaffende diese Eigenschaft des kroatischen Buchvertriebs in der Publikation «Knjiga u fokusu» (Das Buch im Fokus) festgehalten. Darin wird der Büchermarkt soweit wie möglich durchleuchtet, und darauf aufbauend werden Empfehlungen zu seiner Regulierung und zur Verbesserung der Lesekultur abgegeben. «Selbst zwei Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit Kroatiens ist der kroatische Büchermarkt noch immer völlig unreguliert und funktioniert kaum», so die Kritik. Ein zentraler Vorschlag der Experten lautet, eine spezifische Regulierungsinstitution für den Büchermarkt zu schaffen. Bis 2013 gab es weder im Ministerium für Unternehmertum und Handwerk noch im Wirtschaftsministerium spezifische Programme oder Projekte, die sich nur auf Verlagswesen und Buchhandlungen bezogen hätten.
2017 erlebte die Kreativbranche Kroatiens dann endlich ihr Erwachen. Zur Rettung von Verlagen und Buchhandlungen wurden zwei Ministerien ins Leben gerufen. So konnte die Lese- und Kaufumfrage der GfK vom März 2018 aufzeigen, dass die kroatische Bevölkerung zunehmend mehr liest. Genauere Zahlen lassen sich dennoch nicht auffinden; auch eine direkte Anfrage an das GfK-Institut blieb unbeantwortet.

Und in der Schweiz? Ein paar wenige Klicks führen zur Online-Version der Pressemitteilungen des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands (SBVV), die bereits im Titel aufzeigt, dass im Jahr 2018 in der deutschen Schweiz knapp 15 Millionen Bücher verkauft wurden. Welche Buchhandlungen dies genau betrifft, zeigt eine weitere Google-Suche: Auf Platz 1 steht Orell Füssli, gefolgt von Ex Libris AG und Weltbild Verlag GmbH.
Wechselt man die Perspektive, verringern sich die Unterschiede zwischen dem Schweizer und dem kroatischen Büchermarkt: Im globalen Kontext finden beide nur wenig Beachtung. Insbesondere der kroatischen Literatur gilt nur eine geringe Aufmerksamkeit. Dies ist überhaupt nicht gerechtfertigt, wie auch Mirana Jakiša, Professorin für Süd- und Ostslawische Literatur an der Humbolt-Universität in Berlin, feststellt: «Während deutschen Lesern Tschechov, Bulgakov und Pasternak durchaus ein Begriff sind, so hat doch kaum einer von August Šenoa, Antun Gustav Matoš oder Miroslav Krleža gehört». Dabei könne man die kroatische Literatur ohne weiteres in die globalen Literaturströmungen einordnen, da auch sie sich mit Themen wie Neoliberalismus und Gleichstellungsfragen beschäftigt.
2008 stand Kroatien im Mittelpunkt der Leipziger Buchmesse; dennoch ist die Bekanntheit von kroatisch-stämmigen Autorinnen und Autoren dadurch nur leicht gestiegen. Eine Erklärung dafür liegt in der verzögerten Publikation der Übersetzungen. Ein Beispiel des bosnischen Autors Dževad Karahasan legt dieses Problem exemplarisch dar: Sein «Ein Haus für die Müden» erschien 2014, während die deutsche Übersetzung erst im März 2019 publiziert wurde. Für den Brückenschlag zwischen verschiedenen literarischen Welten braucht es also die Kunst der Übersetzerinnen und Übersetzer. Genau deswegen erhielt Alida Bremer im Jahr 2018 den internationalen Literaturpreis für die Übersetzung des Liebesromanes von Ivana Sajko.
Eine weitere Brücke wird von Secondas und Secondos* errichtet. Sie sind es, welche sowohl die kroatische als auch die deutsche Sprache beherrschen und dadurch noch eine andere Sichtweise in ihre Literaturwelt einbringen. Vielleicht sind es letztlich auch sie, welche es schaffen werden, dass in der Buchhandlung sowohl der Schweizer als auch der kroatischen Literatur jeweils ein eigenes Regal gewidmet wird.
* Secondo (m.) / Seconda (f.) = Angehöriger der zweiten Generation von Zuwanderern
Text und Übersetzung: Laurora Shoshi
Quelle: Libra