Einer der bedeutenderen Teile der kroatischen materiellen und geistigen Hinterlassenschaft ist zweifellos die kroatische Schriftkultur. In keiner anderen europäischen Sprache, ausser in der kroatischen, waren in ihrer Geschichte drei verschiedene Schriften im Gebrauch: die kroatische (eckige) Glagoliza, die westliche (kroatische, bosnische) Kyrilliza und die lateinische Schrift. Obwohl die Kroaten zuerst die lateinische Schrift gebrauchten, wurden die ersten in der kroatischen Sprache aufgezeichneten Worte in der glagolitischen Schrift geschrieben. Als Symbol nationalen Bestehens hat die Glagoliza einen Teil der kroatischen Geschichte und Kultur stark geprägt.

Die Glagoliza („glagoljati“ bedeutet auf altslawisch sprechen) wurde durch eine Erleuchtung Gottes durch den Slawenapostel Konstantin Kyrill, Philosoph, im Jahre 863 entwickelt und für alle Slawen bestimmt. Da aber die slawischen orthodoxen Völker die kyrillische Schrift annahmen, wurde die Glagoliza nur auf einem immer enger werdenden Gebiet verwendet. Obwohl sie nur auf einem kleineren Teil des kroatischen nationalen Raumes erhalten wurde (Istrien und Kvarner, Lika, Krbava, Zadar, Split), blieb die Glagoliza in der Kultur und im Bewusstsein vom 9. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts tief verwurzelt. Trotz zahlreicher Bedrängnisse, diese Schrift aufzugeben, wachten die kroatischen Glagoliten eifersüchtig über das Geschenk Konstantins.

In der glagolitischen Schrift wurden Steintafeln eingraviert, Manuskripte und gedruckte Bücher, Breviere und Missale geschrieben. Als Symbol der Einzigartigkeit der kroatischen Kultur wurde sie auf der Tafel von Baška (1100) verwendet. Das ist das älteste in der kroatischen Sprache verfasste und in der Glagoliza geschriebene Dokument, so dass man es nicht nur als Anfang der Schriftkenntnis, sondern auch als jenen der kroatischen Literatur betrachtet. Von der ausserordentlichen Bedeutung der Glagoliza in unserer kulturellen Geschichte zeugt auch die Tatsache, dass das erste kroatische Buch (Missale nach dem Gesetz des römischen Hofes vom 22. Februar 1483), das erste kroatische Lesebuch für Anfänger (1527) und auch die ersten kroatischen Gedichte (Missale des Fürsten Novak, 1368) in der Glagoliza gedruckt wurden.

Im Wirbel der Geschichte gelangten viele unserer wertvollen glagolitischen Bücher und Manuskripte auf unterschiedlichen Wegen ausserhalb der Heimat und sind heute auf sogar 27 Länder verstreut. Die Universitätsbibliothek in Basel besitzt ein Fragment der glagolitischen Handschrift in kirchenslawischer Sprache (14.-15. Jahrhundert), welches im Museum der Basler Papiermühle an der Dauerausstellung „Abenteuer Schrift“ ausgestellt ist.

Wozu sollte man heute noch die Glagoliza lernen? Jedes Volk ist durch die eigene Geschichte, Schrift und Sprache bestimmt.

Die Glagoliza ist in unsere nationale Identität eingebaut. Die jüngere (und auch die ältere) Generation mit der kroatischen glagolitischen Kultur und Zivilisation bekannt zu machen bedeutet, einen Teil wertvoller Tradition auf unsere Nachkommen zu übertragen. Nur an uns liegt es, diese Tradition nicht zu vergessen.

Text: Gordana Kešina

Übersetzung: Sanja Lipnjak