Die meisten Ortsbezeichnungen in der deutschen Schweiz sind älter als unsere Nachnamen. Einige gehen auf die Besiedlung durch die Kelten, andere auf die der Römer und Alemannen zurück. Im Kanton Graubünden sind zudem auch rätoromanische Bezeichnungen häufig anzutreffen, obwohl die deutschsprachigen Zuzüger die weit verbreitete romanische Sprache in Randgebiete verdrängt haben. Dazu einige interessante Beispiele:
Der obere Teil des Vorderrheintales heisst Surselva, das heisst über dem Wald gelegen (Vulgärlatein der Romanen).
Bivio im Oberhalbstein bedeutet, dass zwei Wege von dort wegführen. Bi = zwei, Vio = Wege, in diesem Fall der Septimerpass und der Julierpass. Einige Ortsbezeichnungen und ihre Deutung pass, zwei wichtige Strassen der Römer über die Alpen.
Terzen, Quarten, Quinten liegen am Walensee. Die Herkunft dieser Namen hat nichts mit Musik zu tun. Diese eigentümlichen Namen stammen aus einer frühmittelalterlichen Hofzählung des Bistums Chur.
Walensee, Walenstadt: Das Vordringen der Alemannen von Zürich her Richtung Osten wurde durch den Walensee erschwert. Beidseitige steile Berge liessen nur den Schiffsverkehr zu. Am Ende des Sees angelangt (beim heutigen Walenstadt = stad= Gestade), verstanden die Alemannen die Sprache der Einheimischen nicht. Diese sprachen Romanisch. Diese fremde, andere Sprache war für die Alemannen Welsch. Daraus entstand dann der Welschensee = Walensee und Walenstadt = Gestade der Welschen. Es gibt heute noch im ehemals romanisch sprechenden Chur ein Welschendörfli und eine Welschengasse. Die französisch sprechenden Schweizer nennen wir immer noch die Welschen, sie leben im Welschland oder der Romandie.
Von Chur aus fahren wir weiter durch das Surselva, über den Oberalppass ins Urserntal, was offenbar das Tal der Bären heisst (Ursaria). Eine gleichwertige Bezeichnung stellt Orsières im Wallis dar. Der Name geht auf keltisch arto, lateinisch-romanisch ursus = Bär zurück. Die eigentliche Germanisierung des Tales setzte am Ende des 12. Jahrhunderts ein und erfolgte in mehreren Schüben aus dem Wallis (Furkapass). Dies hatte erst eine Periode der Zweisprachigkeit zur Folge und später ein Übergewicht der Walsersprache. Der Grund für diese Wanderung der Oberwalliser dürfte die Kargheit ihres Bodens, die Enge des Tales und eine gewisse Überbevölkerung gewesen sein. Zudem konnten sich die Auswanderer als Roderer und Kolonisten eine freiheitlichere Rechtsstellung als in ihrer Heimat erobern. Vergleiche mit unserer Zeit sind erlaubt. Im Laufe der Jahre entstanden die drei Orte Andermatt, Hospenthal und Realp.
Andermatt: An der Matte (Wiese) gelegen, beim Eingang zur Schöllenenschlucht und beim Aufstieg zum Oberalppass.
Hospenthal: Kommt vom lateinischen hospitale, eine Herberge vor dem Aufstieg zum Gotthardpass. Der Einfluss des Klosters Disentis ist erkennbar.
Realp: Bedeutet eine Alp am Ufer der Reuss, vor dem Aufstieg zum Furkapass. Hier war die Grenze des Klosterstaates Disentis zum Wallis.
Den Walsern ist wohl auch die erste Brücke in der Schöllenen über die Reussklamm zu verdanken, die vermutlich aus Holzstämmen konstruiert war, die Teufelsbrücke. Die Walser brachten Erfahrung aus ihrer Heimat mit, wie man Wasserleitungen an den Felswänden befestigen konnte. In der Folge muss sich die Verkehrsdichte über den Gotthard bedeutend intensiviert haben, da von Norden nach Süden nur noch eine Passhöhe zu bewältigen war.
Route: Poebene – Lago Maggiore – Gotthard – Vierwaldstättersee – Süddeutschland. Auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft: Locarno – Bellinzona – Airolo – Gotthard – Hospenthal – Andermatt –Teufelsbrücke in der Schöllenenschlucht – Göschenen – Amsteg (am Steg über die Reuss gelegen) – Erstfeld (das erste flache Feld im Reusstal) – Altdorf (ein neueres Dorf an der Reuss wurde aufgegeben wegen vieler Überschwemmungen und man zog wieder in das alte Dorf) – Luzern – Basel.
Interessant wäre zu erfahren, ob auch in Kroatien ähnliche Ortsnamen bekannt sind. Ich kenne nur Podgorica in Montenegro, das eine Verwandte in Norditalien mit Piemont hat.
Text: Walter Hunkeler
Übersetzung: Darija Vucić