Am 1. Januar 2013 trat das neue Erwachsenenschutzrecht in Kraft und löste das 101-jährige, in dieser Zeit weitgehend unverändert gebliebene Vormundschaftsrecht ab. Das neue Erwachsenenschutzrecht stellt den betroffenen Menschen in den Mittelpunkt und hat zum Ziel, dessen Autonomie, Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit möglichst lang und umfassend zu erhalten. Zu den wichtigsten Veränderungen gehören eine zeitgemässe Terminologie, die Förderung des Selbstbestimmungsrechtes der Betroffenen wie auch massgeschneiderte behördliche Massnahmen für schutzbedürftige Menschen. Zudem wurden die 1420 Vormundschaftsbehörden des Landes durch 148 Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) ersetzt und professionalisiert. Die rechtlichen Änderungen wurden im ZGB (Zivilgesetzbuch) verankert und haben grossen Einfluss auf die medizinische Praxis und diejenige in Alters- und Pflegeheimen.
Die neue Terminologie
Die im alten Recht enthaltenen, stigmatisierenden Begriffe wie «mündig», «unmündig» und «entmündigt» für schutzbedürftige Personen werden nicht mehr verwendet. Alle diese Begriffe für eine bevormundete Person wirken etikettierend und sind negativ besetzt. Stattdessen spricht man im neuen Recht von «Volljährigen», «Minderjährigen» und «Personen unter umfassender Beistandschaft». Auch Bezeichnungen wie «Geisteskranke», «Geistesschwäche» oder «Verschwender» werden nicht mehr verwendet. Neu spricht das Gesetz im Zusammenhang mit der Urteilsfähigkeit einer Person von einer geistigen Behinderung, einer psychischen Störung oder einem ähnlichen Schwächezustand (Art. 16 ZGB). Auch der Begriff «fürsorgerischer Freiheitsentzug» (FFE) ist nun mit dem Titel «fürsorgerische Unterbringung» (FU) gekennzeichnet. Damit will man die fürsorgerischen Massnahmen für die Betroffenen und nicht den Freiheitsentzug betonen. Mittels FU bei psychischer Störung, geistiger Behinderung oder Verwahrlosung wird neben einer entstigmatisierenden Nomenklatur ein transparentes Behandlungs- und Betreuungsprozedere, eine zeitliche Limitierung und die regelmässige Überprüfung der Notwendigkeit der Massnahmen geboten.
Förderung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen
Was geschieht, wenn ich einmal dement werde? Wie stelle ich sicher, dass mein Wille respektiert wird, oder dass mich eine Vertrauensperson vertreten kann und nicht der Staat einschreiten muss? Die Antworten auf diese Fragen sind die Hauptziele des neuen Erwachsenenschutzrechtes: Die Stärkung von Autonomie, Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf Selbstbestimmung.
Das Selbstbestimmungsrecht wird gefördert durch die ausdrückliche Verankerung der Patientenverfügung im Gesetz und die Möglichkeit des Einzelnen, im Vorsorgeauftrag zu definieren, wer nach Eintritt der eigenen Urteilsunfähigkeit fremdbestimmend tätig sein wird.
Mit einem Vorsorgeauftrag kann eine handlungsfähige Person selbst bestimmen, wer im Falle einer Urteilsunfähigkeit ihr Rechtsvertreter werden soll. Das Dokument muss von Hand geschrieben sein, datiert, unterzeichnet und beglaubigt werden.
Mit einer Patientenverfügung (PV) kann eine urteilsfähige Person festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer eigenen Urteilsunfähigkeit zustimmt, und welche sie ablehnt. Sie kann eine Person bestimmen, die bei Urteilsunfähigkeit in ihrem Namen entscheiden soll. Auch andere Bereiche können in der Patientenverfügung geregelt werden, wie Organtransplantation, Obduktion, seelsorgerische Betreuung. Auch dieses Dokument muss handschriftlich verfasst, datiert und unterschrieben sein.
Sowohl Vorsorgeauftrag als auch die Patientenverfügung sollten alle zwei Jahre auf ihre Gültigkeit überprüft werden. Ärzte sind verpflichtet, entsprechend der Patientenverfügung zu handeln. Davon ausgenommen sind Forderungen, die mit schweizerischem Recht nicht vereinbar sind, oder wenn klare Hinweise darauf bestehen, dass die PV nicht dem mutmasslichen Willen der verfügenden Person entspricht.
Falls weder Vorsorgeauftrag noch Patientenverfügung besteht, erhalten die Angehörigen mehr Rechte, anstelle der urteilsunfähigen Familienmitglieder zu entscheiden. Viele Menschen wünschen sich, dass ihre Angehörigen für sie Entscheidungen treffen können, was nach dem alten Gesetz nicht möglich war. So gibt es nach dem neuen Gesetz ein Vertretungsrecht gemäss eines festgelegten Kaskaden-Prinzips für den Fall einer Urteilsunfähigkeit. Neu können Ehegatten, eingetragene Partner oder Kinder des urteilsunfähigen Menschen die gesetzliche Vertretung im gesellschafts- oder vermögensrechtlichen Bereich sowie bei medizinischen Massnahmen übernehmen, ohne dass dazu ein behördliches Eingreifen notwendig ist. Somit fördert das neue Gesetz die Solidarität in der Familie. Entscheidend für die Bestimmung der vertretenden Person ist die persönliche Nähe und die Fürsorge.
Individuelle Beistandschaft
Die massgeschneiderten behördlichen Massnahmen bilden den Kern der Erwachsenenschutzrechtes. Gemäss dem Motto «so viel Schutz wie nötig, so wenig Einschränkung wie möglich» werden unflexible Massnahmen wie Vormundschaft, Beiratschaft und Beistandschaft durch vier Formen der Beistandschaft abgelöst: Begleit-, Vertretungs- und Mitwirkungsbeistandschaft sowie umfassende Beistandschaft; diese werden je nach Grad der eingeschränkten Handlungsfähigkeit unterschieden und individuell eingesetzt. Die Massnahmen sind masszuschneidern, d.h. so weit wie möglich zu individualisieren. Behördliche Massnahmen können nur dann angewendet werden, wenn weder nahestehende Personen, Privatpersonen noch medizinische oder soziale Dienste den betroffenen Menschen ausreichend unterstützen können. Zentrale Aufgabe der behördlichen Massnahmen ist die Gewährleistung einer adäquaten Unterstützung und Betreuung für hilfsbedürftige Personen.
Fazit
Durch das neue Erwachsenenschutzrecht sind innovative und transparente Prozesse, Verantwortlichkeiten und Abläufe festgelegt, um die Autonomie und die Selbstbestimmung jedes Einzelnen möglichst lang zu unterstützen. Deshalb befasst sich dieses Gesetz mit uns allen! Zudem wird deutlich, dass schutzbedürftige Personen keine willenlosen Geschöpfe sind. Durch die differenziertere und flexiblere Gesetzgebung sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Behörden kann den Rechten und Wünschen hilfsbedürftiger Personen besser und individualisierter entsprochen werden.
Text: Ivanka Radman
Übersetzung ins Kroatische: Nikolina Cukrov Lovrić
Dr. med. Ivanka Radman, M.Sc. ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, speziell Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie
Quelle: Libra