Der heutige Schweizerpass trägt die Aufschrift “Schweizerische Eidgenossenschaft”. Ausgestellt wird er aber von kantonalen Behörden aufgrund von Papieren, die von einer Gemeinde (Heimatgemeinde) erstellt werden. Jeder Schweizer und jede Schweizerin ist dreifach erfasst. Er besitzt das Schweizer Bürgerrecht, das Bürgerrecht eines Kantons und das Bürgerrecht einer Gemeinde (meist “Ort der Väter”).
Das Schweizerbürgerrecht basiert auf dem “ius sanguinis” (väterliche oder mütterliche Abstammung) wie in Deutschland und Österreich. Daneben gibt es Nationen, wo aufgrund der Geburt im Lande das Bürgerrecht erworben wird. Dieses “ius soli” kennen die USA, Australien und Kanada.
Im Jahre 2004 wurde in der Schweiz der Versuch das “ius soli” teilweise einzuführen (Bürgerrecht für die 3. Generation in der Schweiz lebender Ausländer) vom Volke abgelehnt.
Ab dem 17. Jahrhundert setzten sich die eidgenössischen Kantone und Gemeinden mit der Existenz heimatloser Menschen auseinander. In der Eidgenossenschaft jener Zeit galt das Heimatprinzip in der Fürsorge für die Armen. Dies führte zur Ausformung unterschiedlichster kommunaler Bürgerrechte und zur Abschottung der Gemeinden gegen Fremde. Heimatlos wurde man durch Gesetzgebung und Rechtspraxis, z.B. konfessionelle Gesetzgebung gegen Konvertiten, die bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Aberkennung bestehender Heimatrechte zur Folge hatte. Hinzu kam, dass viele Gemeinden ärmeren und besitzlosen Angehörigen aufgrund einer fahrenden Lebens- und Wirtschaftsweise das Heimatrecht aberkannten (Fahrende, Zigeuner, Jenische). Im Wort “jenisch” steht möglicherweise eine Bedeutung wie von “jenseits” der Grenze kommend. Die zunehmende Verarmung vieler Gemeinden in Kriegszeiten und während der Pestzüge führte zu brutaler Ausgrenzung von fremden Armen ab dem 16. Jahrhundert.
Die Geschichte dieser Aussenseiter, die zu Vaganten, Wahrsagern, Dieben, streifenden Rotten und Heimatlosen abgestempelt wurden, ist mehr als tragisch. Die repressiven Massnahmen der staatlichen Behörden zur Bekämpfung dieser Aussenseiter wurde bis ins 19. Jahrhundert praktiziert. Landjägerkorps überwachten die kantonalen Territorien. Opfer dieser Massnahmen waren Heimatlose, Jenische und vor allem auch Juden.
Da sich das Staatsbürgerrecht in der Schweiz aus dem Bürgerrecht einer Gemeinde ableitet, fehlte den Heimatlosen über die kommunale Zugehörigkeit hinaus auch die rechtliche Zugehörigkeit zu einem staatlichen Verband. Das hatte weitreichende Konsequenzen. Heimatlose hatten keinen Anteil am Nutzungsrecht der Wohngemeinde, ihnen fehlten die Rechte auf Armenunterstützung, auf das Eingehen einer legalen Ehe und Elternschaft oder auf dauernde Niederlassung.
Kurz nach der Gründung des Bundesstaates, ab 1851, wurden die oft papierlosen Heimatlosen in der “Vagantenfahndung” inhaftiert. Ein Verfahren entschied, wer gegen den Widerstand vieler Gemeinden zwangseingebürgert wurde oder zwangsausgeschafft. Erst mit dem Bürgerrecht bekamen sie das Recht auf legitime Ehe- und Elternschaft (30 000 Personen wurden zwangseingebürgert). Die Emanzipation der Juden erfolgte erst ab 1866 (Niederlassungsfreiheit und Rechtsgleichheit) und 1874 Kultusfreiheit (vollständige rechtliche Gleichstellung).
Noch in den 1950-er Jahren war dazu die Heimatgemeinde (der Bürgerort) verpflichtet. Damals habe ich mit meinen Eltern unseren Heimatort (Alberswil im Luzernischen) besucht und das Alters- und Armenheim besichtigt. Man wusste ja nicht, was alles auf einem zukommen konnte! Vorher und nachher war ich nie mehr dort. Erst 1975 wurden die Gemeinden zur Unterstützung von kantonsfremden, in der Gemeinde niedergelassenen Schweizerinnen und Schweizer vom Bunde verpflichtet.
Literatur:
Historisches Lexikon der Schweiz, Bern
Text: Walter Hunkeler – Španjić
Übersetzung: Sanja Lipnjak