Nur wenige Hungrige werden sich Gedanken über die Gotenkriege der Spätantike machen, wenn sie sich im Restaurant oder bei der Grossmutter am Tisch über den dampfenden, gebeizten Rinds- oder Schweinsbraten hermachen. Dessen besonderer, süss-säuerlicher Geschmack ergibt sich aus der fünftägigen Beize und den gedörrten Früchten, mit denen er gespickt ist. Laut Gastro-Historikern geht diese Methode, egal ob als Pasticada, Suure Mocke (oder in Deutschland als Sauerbraten) benannt, etwa auf das Jahr 450 n. Chr., auf den Krieg zwischen den Gotenkönigen Odoaker und Theoderich zurück. Odoaker war der erste Barbarenführer, der Rom – die damals schon ziemlich heruntergewirtschaftete Hauptstadt des Reichs – einnahm und plünderte. Theoderich, ebenfalls Gote, aber in Byzanz «zivilisiert», stiess von Illyrien aus bei Ravenna auf Odoaker, den er eigenhändig erdolchte. Dem vorausgegangen war eine lange Belagerung der Stadt Ravenna. Aus Not wurde mit der Zeit auch das Fleisch der Armeepferde verspeist. Dieses musste jedoch, weil sehr zäh, vor dem Braten gebeizt/mariniert werden, wodurch auch das Fleisch alter Tiere geniessbar wurde. Ravennas Nachbarn, die ohnehin als geizig erachteten Venezianer, übernahmen diese Methode für ihre «Pastissada». Sie brachten die Methode dann ins südöstlich gelegene Dalmatien im heutigen Kroatien. Wie allerdings das Rezept nordwestlich über die Alpen zu den Alemannen kam, ist nicht bekannt. Doch auch dort wurde diese Methode früher vor allem für die Zubereitung von Pferdefleisch genutzt. Noch viel früher soll Julius Cäsar auf seinen Kriegszügen durch Germanien solches Fleisch in Essig konserviert haben.
Aus lauter Neugier testeten wir die Berner Version, den «Suure Mocke» (saures Fleischstück) mit einer Marinade aus trübem Most (alkoholhaltigem Apfelwein) und Apfelessig. Diese Berner Version (1) stellten wir der dalmatinischen Pasticada (2) gegenüber.

Das ganze Fleischstück wird in eine Beize aus trübem Apfelwein und Apfelessig gelegt

Kuh, Rind, Pferd oder Schwein

Man nehme also ein Stück Fleisch von rund 700 g von Kuh, Rind, Pferd oder Schwein, lege es in ein Gefäss und überdecke es für 3 bis 5 Tage mit einer Marinade aus entweder
(1) Suure Moscht und Apfelessig, oder
(2) Rotwein, Weinessig und einem Gläschen Proschek (Süsswein, nicht Prosecco!)
Das Fleischstück in der Marinade muss täglich gewendet werden. Achtung: Der Essig-Anteil in der Marinade entscheidet darüber, wie sauer am Ende der Braten sein wird. Das ist Geschmackssache, aber beim ersten Mal sollte man mit dem Essiganteil lieber etwas vorsichtig sein.
Am 5. Tag nimmt man das Fleischstück aus der Marinade und brät es mit (1) Bratbutter oder (2) Olivenöl in einer Pfanne, bis alle Fleischseiten braun gebraten sind. Separat wird währenddessen die Marinade in einer Pfanne aufgekocht. Daraufhin legt man das Fleischstück auf ein Schneidebrett. Mit einem scharfen Messer schneidet man an den Seiten des Fleischstücks tiefe Schlitze und drückt (1) die gedörrten Zwetschgen, (2) gedörrte Feigen sowie eventuell Knoblauch und Speckwürfel hinein («spicken»). In die Pfanne, in dem das Fleisch angebraten wurde, kommt nun das grob geschnittene Gemüse zum Anbraten. Danach giesst man die noch sehr warme Beize darüber. (2) Für die Pasticada braucht es zusätzlich noch etwas Tomatenkonzentrat, Muskatnuss und Paprikapulver zum Einrühren. Manche benützen die gedörrten Früchte nicht zum Spicken des Fleischs, sondern geben sie erst jetzt zur warmen Marinade.

Das Fleisch wird abgetropft; es kommen Gemüse und gedörrte Pflaumen, Pfeffer, Zimt, Wacholder und Gewürznelken dazu

) Das Fleisch ist bereits angebraten, nun wird auch das Gemüse angebraten. Daneben die heisse Marinade

Aufgewärmt noch besser

Alles zusammen wird im Bräter oder Römertopf in den Ofen gestellt und schmort für rund 3 Stunden bei 150 Grad. Alle Stunden wird das Fleisch gewendet. Nach 2 Stunden püriert man die Hälfte des Gemüses und die Hälfte der Marinade mit dem Stabmixer und gibt das Püree zurück in den Topf. Serviert werden Fleisch und Sauce getrennt, das Fleisch elegant aufgeschnitten. Mit der Sauce übergiesst man die Beilagen (1) Kartoffelpurée, (2) Gnocchi, Makaroni, oder Polenta. Achtung: Bleibt das Fleisch zu lange im Ofen, fasert es aus und kann nicht mehr elegant in Scheiben geschnitten werden, was jedoch am Geschmack nicht viel ändert.

Wie Sarma oder Bohnensuppe gehören auch der Suure Mocke/ Pasticada zu den Gerichten, die aufgewärmt noch besser schmecken. Dazu kann das Fleischstück auch schon vorher in Scheiben geschnitten und mit der Sauce übergossen werden. Derart vorbereitet lässt es sich im Kühlschrank bis zum nächsten Tag aufbewahren.

In den Bräter damit!

Die Hälfte des Gemüses zusammen mit der Marinade mit dem Stabmixer pürieren

Das Fleisch ist bereit zum Aufschneiden

Gastronomische Vergleiche Schweiz-Kroatien
Die Schweiz und Kroatien liegen eigentlich gastronomisch weit voneinander entfernt. Als (vor-)alpines Land wäre die Schweiz historisch gesehen eher geeignet für Viehwirtschaft und damit auch für Milchverarbeitung und Käse – egal, ob Deutsch-, West- oder Südschweiz. Kroatien hingegen hat einerseits riesige, tief und flach gelegene Ackerböden, andererseits unterschiedliche Klimazonen – pannonisch, hügelig oder mediterran. Dennoch kennen beide Länder traditionelle Gerichte, die sich ähnlich sind. In der letzten Ausgabe verglichen wir die istrisch-dalmatische Jota, eine Sauerkraut-Suppe mit geräuchertem Schwein, Speck etc. mit der ähnlich zubereiteten «Bärner Platte». Hier geht es jetzt um Rinds- oder Schweinsbraten, die einige Tage in einer Wein-Essig-Mischung mariniert (gebeizt) und mit gedörrten Früchten gespickt werden.
kano suhim voćem.

Izvor: Libra 53

Tekst: Alexander Künzle

Prijevod na hrvatski: Vesna Soko, Vlatka Matoković