Warum heisst wohl der Glacier Express «langsamster Schnellzug der Welt“ oder man sagt von ihm, er sei der Schweizer «Orientexpress“, oder er wird auch als «Star der eidgenössischen Schienen“ bezeichnet? Der Glacier Express hat schon zu einigen überschwänglichen Formulierungen verleitet, worin liegt eigentlich sein Erfolg, wieso erfreut sich diese Zugsverbindung zwischen Zermatt und St. Moritz zunehmend und andauernd grösster Beliebtheit bei Einheimischen und Touristen aus aller Welt, und zwar nicht nur bei den Bahnliebhabern? Was hat der Glacier Express, was andere Züge nicht haben?

Nun, neuerdings besitzt er ein Label, das weltweit für Furore sorgt: Die UNESCO hat die Strecke des Glacier Express zwischen Albulatal und Bernina am 8. Juli 2008 ins Weltkulturerbe der Menschen aufgenommen, was ihren kulturellen Wert und die touristische Bedeutung wohl nachhaltig unterstreicht. Die unten beschriebene Bahnlinie befindet sich also auf Augenhöhe etwa mit der Altstadt von Dubrovnik, den Plitwitzer Seen oder dem Nationalpark Krka, ebenfalls alle Weltkulturerbe. Daran etwa kann der Leser der LIBRA ermessen, was sie überhaupt für die Schweiz bedeutet.

Eine Zugreise im Panoramawagen quer durch die Hochalpen ist fast nicht anders zu beschreiben als mit Superlativen so wie oben, wenn man nur schon in Ehrfurcht an die Tausenden von Menschen denkt, die diese total 130 km lange Eisenbahnstrecke vor siebzig, achtzig, neunzig Jahren mit den damaligen technischen Mitteln und Möglichkeiten gebaut haben. Eröffnet wurde die Strecke im Jahre 1930.

Wenn der Tourist aus dem Unterland mit der Eisenbahn anreist, wie immer sicher, pünktlich, sauber, häufen sich beispielsweise auf der Fahrt vom unteren Albulatal verwirrende Kehrtunnels und atemberaubende Viadukte hoch bis zum fast 6 Kilometer langen Albulatunnel zwischen Preda und Bever im Engadin, und der neugierige Reisende geniesst bei der Fahrt über den berühmten und schwindelerregenden Landwasserviadukt einen grossartigen Blick hinunter in die Schlucht und ins Tal, um alsbald im unmittelbar darauf folgenden Tunnel wieder zu verschwinden.

Pech, wer seinen Fotoapparat nicht rechtzeitig schussbereit hatte, der Viadukt ist ziemlich kurz bei normaler Geschwindigkeit des Zuges. Derartigen Kunstbauten wie diesem 65 m hohen Viadukt über den Fluss Albula und dem folgenden Tunnel zollt man auch Respekt, wenn man nicht Bahnfreak ist, man ist förmlich erschlagen von der Baukunst und der Technik, besonders wenn man realisiert, dass dieser hohe Viadukt mit seinen steinernen Pfeilern in einem Bogen angelegt ist.

Schluchten und Stege, Brücken und Lawinenverbauungen wechseln zahlreich ab, der Bahnreisende nimmt sie als Licht- und Schattenspiel wahr, kaum gelingt es ihm einmal, den freien Blick auf diese einzigartige Gebirgslandschaft minutenlang zu geniessen, so zahlreich sind die Bauwerke zur Sicherheit des Zuges und der staunenden Touristen. Der Reisende links im Zug sitzend jauchzt vor Verzücken über das Dargebotene in der Alpenwelt, derjenige im rechten Abteil wartet schon ungeduldig, bis er wieder den Blick durchs Panoramafenster auf die umstehenden Gipfel und ins Tal geniessen kann, eine solche Reise ist mit Worten kaum zu beschreiben, so abwechslungsreich und kurzweilig wie sie ist. Für mich wie ein Tüpfchen auf dem i ist die Möglichkeit, sich im durch die Galerien und Kehrtunnels und über zahlreiche Brücken wälzenden Zuge zu verpflegen. Früher ging man zum Lunch in den Speisewagen, heute serviert man die Speisen am Sitzplatz. Da werden qualitativ hochstehende Menus angeboten, bei denen man sich kaum vorstellen kann, dass sie der Koch in seinem knapp bemessenen Servicewagen herrichtet. Dieses kulinarische Erlebnis verbunden mit den pausenlos gebotenen optischen Sehenswürdigkeiten bedeutet für den sonst stressgeplagten Touristen ein Highlight, das wohl kaum zu überbieten ist: ein Genuss für Augen und Gaumen. Der Wein wird übrigens in schrägen, speziell so gebrannten Gläsern gereicht, jemand kündet die Kehrtunnels so an: “Tournez les verres, s’il-vous-plait!” “Drehen Sie die Gläser, bitte!” so dass das kostbare Getränk nicht über den Rand hinausschwappt, wenn der Zug durch die 360°-Tunnel rundherum kehrtmacht. Viele Reisende haben dieses Gefühl überhaupt noch nie erlebt, dass die Eisenbahn im Berg drin ganze Runden dreht, um dann, deutlich sichtbar durchs Fenster, weiter oben oder weiter unten wieder das Tageslicht zu erblicken. Allein schon deshalb lohnte sich eine Fahrt mit dem Glacier Express!

Es folgen auf der Reise des Glacier Express viele berühmte Orte wie etwa der mondäne Kurort St. Moritz, in dem man sich tagelang aufhalten könnte und noch immer nicht alles gesehen hätte, was er bietet. Man kann auch im Glacier Express sitzen bleiben, falls man die ganze mehrstündige Fahrt geniessen will. Selbstverständlich ist der Zielort Zermatt mit einem Rundblick gesegnet, der einzigartig ist auf der Welt.

Hochalpengipfel wie Monte Rosa, Breithorn, Weisshorn fast rundherum, und neben vielen bekannten türmt sich vor einem das berühmte Matterhorn in der Sonne. Der Reisende braucht Geduld und Musse, wenn er sich auf dieses erlebnisreiche Abenteuer einlässt: Die Fahrt und die Eindrücke sind aber derart intensiv, dass man noch Wochen, Monate davon zehren kann, bis man wirklich alles verarbeitet hat, und dann sind ja da noch die vielen Fotos, die man gemacht hat! Immerhin erinnern diese an eine unvergessliche und einzigartige Bahnfahrt durch die Alpenregion der Schweiz.

Text: Alfred Schenker

Übersetzung: Sanja Lipnjak