Wird der Kroatienschweizer seiner Alt-Heimat untreu und fliegt statt nach Südosten nach Südwesten in die Ferien, landet er wohl auf den Balearen. dort, auf Mallorca, riecht er nicht nur denselben Pinien-duft wie in Dalmatien und hört denselben Schlag der Brandung auf die Felsen. Spaziert er beim Konditor an der Auslage vorbei, fällt sein ungläubiger Blick auf dieselbe Jufka- oder Strudelteigschnecke, die er von zuhause kennt. doch halt: Ist das, was da hinter dem Schaufenster auf ihn wartet, wirklich ein salziger Burek? Nein, es ist des Bureks süssliebliche iberische Schwester, die unwiderstehliche Ensaïmada.
Geschwister im Teller, Geschwister im Geist: Mallorca gehört zu Katalonien – und die Katalanen sind für Spanien das, was die Kroaten einst für Jugoslawien waren: etwas reicher als die anderen, dafür bockig, dem Meer zu- und der zentralistischen Hauptstadt im Hinterland möglichst abgewandt. Und die Mallorquiner, als Insel-Katalanen, denken genauso, nur sitzt für sie der Feind bereits an der Küste von Festland-Katalonien, in Barcelona. Irgendwie kommt einem die Konstellation familiär vor – auch auf vielen dalmatinischen Inseln denkt man so über das Festland.
Deshalb kann es die echte Ensaïmada nur auf der Insel geben – die Empörung der Mallorquiner wäre gross, wenn ein Bäcker auf dem Festland, in Barcelona oder Valencia, die Frechheit besässe, die Insel-Hefeschnecke zu imitieren.
Auch sonst fallen dem Kroatienschweizer auf Mallorca viele gastronomische Parallelen auf: Olivenhaine auf der ganzen Insel, Pimenton als rotes Paprikapulver, Sobrasada als balearische Version des slawonischen „Kulen“, einer in den Schweinemagen gequetschten, roten und scharfen Paprika-wurst, allerlei Tapas, die an (bosnische) Meze-Vorspeisen erinnern, Auberginen, grüne Wildspargeln, gefüllte Tintenfische, Brudet.
Bei meinem ersten Spaziergang in Palma vor vielen Jahren fielen mir in den Konditorei-Schaufenstern die vom Aussehen her irgendwie bekannten Teigschnecken mit einem Durchmesser von rund 30 cm auf – hellbraun glänzend, mit Puderzucker bestreut, mit süsser Füllung. die Ensaïmada figuriert jeweils als Prunkstück der Auslage. doch auch die süsse, west-mediterrane Schwester des Burek kann ihre orientalischen Familienbande nicht verstecken: dünn ausgezogener, Jufka-, strudel- oder filoähnlicher Teig-, der mit einer Füllung bestrichen, aufgerollt und dann schneckenförmig in ein Backblech gelegt wird.
Schon fast amüsant sind die Unterschiede zwischen Südost und Südwest: während der Burek eher knusprig zu sein hat, kann die Ensaïmada auch weich und glänzend braun aus dem Ofen kommen. will heissen: Ist der Burek einmal aufgewickelt, kommt er sofort in den Ofen. der mallorquinische Bäcker hingegen lässt die aufgerollte rohe Ensaïmada über Nacht ruhen, bevor er sie in den Ofen steckt.
Süsser Schweineschmalz, Puderzucker auf die Wurst
Auch der Name Ensaïmada lässt tief blicken: Saïm heisst auf Katalanisch Schweineschmalz. der Jufka-ähnliche Teig wird also mit Schweineschmalz und nicht mit Öl oder Butter weich gemacht und gezogen. die mittelalterlichen Vorläufer der Ensaïmada, so vermuten mallorquinische Gastrohistoriker, von mallorquinischen Sarazenen und Juden hergestellt, dürften deshalb mit Schafsmilch-Butter hergestellt worden sein. Ebenfalls recht ausgefallen fand ich jene Art von Ensaïmadas, in denen kleine Stückchen von Sobrasada eingearbeitet sind: Sie erhalten dadurch appetitliche rote Farbtupfer und auf die Wurststückchen wird Puderzucker gestreut…
Die Füllungen sind unterschiedlich: Neben Kürbiskonfitüre können es Aprikosen, Rahm, Schokolade, Mandeln und ähnliches sein.
Sakrileg Wurst-Fisch
Bei allen balearo-hispano-dalmatinischen Gastro-Parallelen fallen auch grosse Unterschiede auf. Spanier finden nichts Sündhaftes daran, ihre Meeresfische, ganz oder in Filets, mit dünnen Paprikawurst-Schnitten zu umwickeln, bevor sie sie grillieren („Mare-Monti“) und nachher mit einer (scharfen) Paprikasauce übergiessen. Einen Dalmatiner würde dabei wohl der Gastroschlag treffen. Ein weiterer Gastro-Schocker ist ein vortrefflicher Salat aus Bakalar (frischem oder eingesalzenem Dorsch), wobei das Olivenöl mit Orangensaft leicht süss gesäuert wird. Wer gerne Fisch zubereitet, sollte es unbedingt versuchen. Aber lieber in der neutralen Schweiz…
Text: Alexander Künzle
Übersetzung: Ljilja Čelar