Karibik, Alpen, Asien – und jetzt Lošinj
Dass für Peter Schoch der Weg vom Waldhaus im Bündnerischen Flims zum Bellevue im Cikat auf Losinj führt, überrascht. Die Regel ist, dass viele kroatische Gastronomen, Hoteliers und Restaurateure in die Schweiz kommen. Dass mit Schoch aber ein Schweizer Profi seine Destination nach Kroatien verlegt, ist die Ausnahme. Der Hotellerie- und Gastronomie-Fachmann mit jahrzehntelanger Erfahrung wirkt seit Frühling 2020 als CEO und Mitglied der Geschäftsführung im Losinjer Beherbergungskonglomerat Jadranka Turizam, das kroatischen Privatinvestoren gehört und seinen Sitz in Moskau hat.
«Eigentlich wollte ich nach meinem Engagement im Waldhaus Flims in Graubünden kürzer treten und nur noch zur Hälfte in der Hotellerie arbeiten», sagt Peter Schoch, 62, in der Lobby des Bellevue, während hinter ihm das Meer der Cikat-Bucht glitzert und der weisse Marmor der Hotelhalle in der Nachmittagssonne blendet. Ein ungewohnter Anblick: Ein Schweizer, aber für einmal nicht in der Rolle des Shorts und Sonnenbrille tragenden Touristen, sondern als Direktor und CEO nicht nur des Hotels Bellevues, sondern der gesamten Gruppe. «Doch ein Bekannter rief mich an. Man suche auf einer Insel in Kroatien einen CEO, und ob ich da nicht jemanden wüsste, der sich eignet.» Als Consultant sei man ja bei solchen Anrufen immer etwas vorsichtig, und schaue sich lieber zuerst das Objekt persönlich vor Ort an, bevor man sich dazu äussere.
Schoch schaut sich seit 30 Jahren solche Objekte an: Auf vielen Kontinenten und Orten musste er schon entscheiden, ob es sich für ihn oder seine Investoren eignet. Wo war er schon nicht gewesen? Unter anderem in den Alpen oder in der Karibik, aber in Kroatien noch nicht. «Nachdem ich auf Lošinj meinen Kriterienkatalog durchgegangen war, gefiel es mir hier so gut», so Schoch, «dass ich meine Entscheidung zum Kürzertreten nochmals überdachte und gleich selbst kandidierte!»
Lošinj zum Wachküssen
Einfach nur ein Hotel leiten, das wollte Schoch nicht mehr. Denn in Losinj gebe es viel mehr zu tun. Die Insel lasse sich künftig ausbauen: Golfplatz mit zusätzlichem Hotel, Tennis, Flughafen, Fussball-Akademie, etc. Das bringt neue Gäste und verlängert die Saison. Zwar hat Losinj einen vergleichsweise hohen Anteil an sogenannten Wiederholungsgästen, die alle Jahre wieder kommen. Das ist zwar ein gutes Merkmal, doch der Neuankömmling Schoch sieht weiteres Potenzial: «Gerade die Cikat-Bucht kann mit den weltbesten Destinationen mithalten», urteilt er. Negativ im Vergleich zu anderen Ferienorten sei die kürzere Saison, weil Losinj geografisch und klimatisch nördlicher liegt als konkurrierende (Bade-)Destinationen. Positiv hingegen wiegen Sicherheit und das Produkt. Ferienorte liegen ja vielfach in den warmen Regionen dieser Welt. Doch diese sind oft genug politisch und wirtschaftlich unsicher oder von der Kundschaft weit entfernt. Ferienresorts werden deshalb nach aussen abgegrenzt gebaut, wenn nicht gar von Mauern oder Zäunen umgeben – schön gelegene Luxusoasen in einer sonst armen Umgebung, nie ganz diebstahlsicher, und immer öfter von Naturkatastrophen wie z.B. Stürmen heimgesucht.
Im Cikat und auf Losinj hingegen ist alles zugänglich. Es gibt keine Abgrenzungen, man kann seine Kinder am Strand lassen, ohne sich über deren Sicherheit Gedanken zu machen. Ins Städtchen Losinj kann man zu Fuss durch den Pinienwald spazieren, wenn man nicht den Bus nimmt. Auch nachts spaziert man in der Bucht, wohin man will. Für langjährige Kroatientouristen ist dieser Luxus seit jeher eine Selbstverständlichkeit, doch für Schoch nicht – er kennt den Aufpreis anderswo. «Solche Überlegungen gaben bei mir den Ausschlag», meint er, «Cikat und Losinj können mit den weltbesten Destinationen mithalten.» Nur: Kroatien sei zwar inzwischen als Ferienland bekannt, aber die Insel selbst kaum. Im Vergleich: Die Schweiz als Ferienland kennt jeder, und dennoch funktionieren Namen wie Luzern oder Zermatt eigenständig. In Kroatien gilt Ähnliches vorerst wohl vor allem für Dubrovnik.
Personal und Arbeitsmarkt
Weltweit kennt die Hotelindustrie Probleme mit dem Personal. Gemäss Schoch ist ein guter Teil davon nicht nur auf den Mangel an Fachkräften zurückzuführen, sondern auch auf den Umstand, dass viele Hotelbetriebe zu wenig auf eine klare Unternehmensphilosophie, Vision oder Mission achten. «Der Arbeitgeber muss heute dem Arbeitnehmer viel mehr geben als nur einen Job», so Schoch. Schweizer Ferienorte kennen die Situation, dass zu wenig Einheimische im Ort geblieben sind, um die Gäste zu betreuen – womit dann der «lokale Touch» fehlt, den sich die Gäste wünschen. Jadranka Turizam beschäftige während der Saison 1200 Mitarbeitende; rund 90% davon sind Kroaten, wovon rund 800 Einheimische, so Schoch. «In Kroatien gibt es rund 100‘000 Personen, die im Tourismus und der Hotellerie beschäftigt sind. Davon brauche ich ein Prozent! Aber ich möchte, dass es die Besten sind.» Denn heute können Touristik- und Beherbergungs-Profis überall auf der Welt eine Arbeit finden, weiss Schoch. Deshalb brauche es Motivation und klare Visionen für sie. Sie müssen sich als Teil der Firma sehen, und nicht einfach dort arbeiten.
Generell rechnet Kroatiens Unternehmerschaft damit, dass wegen der erleichterten Abwanderung ins Ausland die Löhne steigen werden. So wurden 2013 nach dem EU-Beitritt Kroatiens die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und EU automatisch auf Kroatien ausgeweitet – mit Ausnahme des Freizügigkeitsabkommens. Dank Ventilklauseln und Übergangszeiten gelten in der Schweiz vorerst noch arbeitsmarktliche Beschränkungen für Kroaten. Doch diese dürften bald fallen. In Österreich liefen solche einschränkenden Übergangsfristen bereits Ende Juni 2020 aus. In der EU leben ein Viertelmillion Kroaten, viele davon sind in Hotellerie und Gastronomie beschäftigt. Deshalb besteht eines der wichtigsten Unternehmensziele von Schoch darin, seine Mitarbeitenden zu behalten, «anstatt sich wie andere Hotelunternehmen zum Erfolg zu sparen» – mit all den negativen Auswirkungen, die man auch in Schweizer Alpenbetrieben kennt. Er führt die Hälfte eines wirklichen Erfolgs des Hotels auf das technische Können der Mitarbeiter zurück – «der Rest ist Freundlichkeit».
Rückblickend meint Schoch, dass seine Jadranka Turizam bis in den Frühsommer 2020 schon beinahe auf einen Rekord zusteuerte, bevor Covid-19 aufkam. Bis Ende September wurden 70% des Vorjahres-Ergebnisses erreicht worden. Auf der Insel habe man Glück gehabt, da damals keine Corona-Fälle bekannt wurden. Ohne klarere Informationen bezüglich der künftigen Impf-Möglichkeiten lasse sich nichts prognostizieren: Falls sich die Lage normalisiere, wäre gar mit einem Nachholbedarfs-Boom für 2021 zu rechnen.
Hotels seit 1887, Bellevues seit 1912
1912 wurde in der Bucht Cikat die erste Hotel-Pension Bellevue eröffnet: Sie umfasste das Albergo Bella Vista und die Villen Dubrovnik und Hortensia. 1967 entstand als sozialistischer Plattenbau neben dem ehemaligen Bellevue ein zweistöckiges Gebäude – eine Entscheidung der selbstverwalteten Arbeiterschaft der Jadranka hoteli, auf dem Grundstück der im 2. Weltkrieg zerstörten Pension Bella Notte und einer kleinen Werft. Das kühl wirkende, weisse Bellevue lag gut versteckt im Pinienwald. Nach der Privatisierung Jadranka entstand 2014 aus dem sozialistischen Bau ein Luxushotel. Die Einbettung in den Pinienwald bleib bestehen, aber der einst öffentliche Zugang zum Strand wurde nun teilweise den Hotelgästen vorbehalten. Die erste Pension auf Losinj war viel früher, nämlich 1887, eröffnet worden. Bereits 1903 gab es in Mali Losinj 93 Hotels und Pensionen, in Veli Losinj 28.