Das Wetter ist besonders warm für die Jahreszeit. Die Sonne scheint und der Weg, der mich durch Wald und Weinberge nach Genolier führt, fühlt sich angenehm an. Das Städtchen ist etwa 30 km von Genf entfernt und ist vor allem für eine der grössten und renommiertesten Privatkliniken der Schweiz bekannt. Fachärzte mit Erfahrung und Reputation in Präventivmedizin, Chirurgie, Onkologie, Gynäkologie, Geburtshilfe und weiteren medizinischen Fachrichtungen behandeln und betreuen hier Patienten aus aller Welt. Innerhalb der Klinik führt die Gynäkologin Lela Seidler Blažek aus Zagreb ihre eigene Privatpraxis. Mit ihr hatte ich ein Treffen vereinbart.
Die Praxisassistentin führt mich ins Büro der Ärztin, von dem aus man auf den Genfersee blickt. Weiss dominiert den Raum, hier empfängt sie ihre Patienten. Ein Untersuchungszimmer ist nebenan. Das Umfeld ist mir vertraut, da ich schon seit Jahren ihre Patientin bin.
Sie traf etwas verspätet ein, da sie gerade von einer Operation kam, die etwas länger gedauert hatte als geplant.
Frau Seidler, ich kenne Sie schon länger. Ich weiss, dass Sie aus Zagreb kommen, dass Sie dort Ihre Ausbildung und auch die Uni absolviert haben. Was führte Sie vom Sveti Duh-Krankenhaus zur Klinik in Genolier?
Ich machte meinen Abschluss an der Medizinischen Fakultät in Zagreb. Danach bekam ich eine Stelle im Krankenhaus Sveti Duh, das ebenfalls in Zagreb liegt. Als ich anfing, dort zu arbeiten, war ich Teil eines grossartigen Teams unter Dr. Asim Kurjak, von dem ich sehr viel lernen konnte. Wir führten gynäkologische Untersuchungen, Entbindungen und Operationen durch. In dieser Zeit machte ich auch meinen Master. Das alles nahm ganze zwölf Jahre in Anspruch. Darauf lernte ich Guy Seidler, meinen zukünftigen Mann kennen, der aus Genf stammt.

Wie kamen Sie zur Entscheidung, ihren Arbeitsplatz zu verlassen und aus Zagreb wegzuziehen, wo Sie bereits den Status eines Primarius erreicht und sich im Sterilitätszentrum spezialisiert hatten?
Die Entscheidung, alles hinter mir zu lassen, fiel mir schwer. Deshalb pendelte ich eine Zeit lang zwischen Zagreb und Genf. Dabei ging es nicht nur um Medizin und Familie, denn ich war auch im Reitverein Zagreb aktiv. Ich hatte dort mein eigenes Pferd, mit dem ich noch im ehemaligen Jugoslawien Juniorenmeisterin im Springreiten geworden war.
Als ich in Genf ankam, sprach ich noch kein Französisch. Ich stürzte mich aber vom ersten Tag an ins Lernen und wurde von der kantonalen Universitätsklinik in Genf engagiert. Richtig schwierig war der Start nicht, da ich an der medizinischen Fakultät in Zagreb eine ausserordentlich gute Ausbildung erhalten hatte. Ausserdem konnte ich auf zwölf Jahre Erfahrung im Sveti Duh-Spital zurückblicken. Man erkannte in Genf meine Fähigkeiten sofort. Dennoch musste ich mein Diplom beglaubigen lassen und auch einige Prüfungen ablegen, was mir aber keine Mühe machte.
Sie praktizieren Gynäkologie und Endokrinologie. Sie sind Expertin für Geburtshilfe und betreuten, soweit ich weiss, schon zahlreiche Berühmtheiten aus der Welt des Sports, der Politik und des Jetsets bei deren Entbindung – worüber Sie natürlich nicht sprechen dürfen. Sie hielten auch Vorträge; bei einem davon war ich unter Ihren Zuhörern, und der bleib mir in besonders guter Erinnerung. Sie sprachen damals über die Wechseljahresbeschwerden, was einige unserer Leserinnen sicherlich interessieren dürfte. Hat sich denn seit Ihren Anfängen als Ärztin bis heute etwas in der Behandlung der Frauen in dieser Übergangszeit verändert?
Die Wechseljahre und die Behandlung von Wechseljahresbeschwerden sind Bereiche, denen mein starkes berufliches Interesse gilt. Wir verfügen heute über umfangreiche Erfahrungen und haben strenge Indikationen bezüglich Risikofaktoren definiert. Ich bin ein Befürworter einer streng individualisierten, d.h. auf jede Patientin abgestimmte und angepasste Behandlung. Natürlich sind gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen die Basis der «Behandlung» der Wechseljahre, damit eine Frau diese Übergangszeit ohne grössere Schwierigkeiten übersteht, aber auch die Knochenmasse durch Ersatzhormone schützt. Dazu gehören auch regelmässige, jährliche Mammografie- und Ultraschallkontrollen. Ebenso wichtig ist es, Komorbiditäten auszuschliessen, das heisst, den allgemeinen Gesundheitszustand der Patientin zu berücksichtigen – ob sie z.B. an anderen Krankheiten leidet, oder ob sie raucht. Es ist notwendig, auf gute Körperhygiene, ausgewogene Ernährung und altersgerechte körperliche Aktivität zu achten. Ich empfehle gerne minimale, wirksame Dosen reiner Hormonpräparate, die vasomotorische Symptome wie Hitzewallungen und Schlaflosigkeit reduzieren oder ganz beseitigen. Denn diese Symptome sind sehr unangenehm und beeinträchtigen die Lebensqualität besonders bei aktiven Frauen, die dadurch chronisch müde und als Folge davon oft depressiv werden. In solchen Fällen ist eine Hormonbehandlung unbedingt zu empfehlen.

Wir beobachten, dass es heute viele junge Frauen aus Bequemlichkeit vorziehen, per Kaiserschnitt zu gebären anstatt auf normalem Weg. Wie wirkt sich diese Entscheidung auf die Gesundheit der Mutter und des Neugeborenen aus?
Ich praktiziere seit 30 Jahren Geburtshilfe und kümmere mich um Schwangerschaft und Entbindung meiner Patientinnen in der Klinik. Das hat mir immer grosse Freude bereitet, weil es ein positiver Aspekt der Gynäkologie ist. Meine Devise war, dass jede Mutter gesund und mit einem gesunden Baby aus unserer Entbindungsstation kommen musste.
Natürlich habe ich immer die Entscheidung von Frauen respektiert, die eine geplante Geburt, also einen Kaiserschnitt, wünschten. Es gibt noch immer einen kleinen Prozentsatz von Schwangeren – meist berufstätige Frauen – die ihre Aktivitäten, einschliesslich der Geburt ihres Babys, im Detail planen.
Da der Kaiserschnitt heute ein Routine-Eingriff ist, kann er eine Option sein. Aber ich wiederhole, das kommt nicht oft vor. Besonders stolz bin ich darauf, dass ich noch nie aus Bequemlichkeit für mich oder für mein Personal einen Kaiserschnitt durchführte. Eine normale, vaginale Entbindung unter günstigen Bedingungen ist das schönste Ereignis im Leben einer Frau.
Sie haben zwei bereits erwachsene Töchter. Welche Erfahrungen machten Sie als Elternteil und Mutter?
Ich bin davon überzeugt, dass Bildung und Ausbildung das grösste Kapital sind, das wir unseren Kindern mitgeben können. Ich denke besonders an die Bildung von Frauen in der heutigen Gesellschaft, und deshalb freue ich mich darüber, dass ich meinen Töchtern diese Überzeugung weitergeben konnte. Isabelle ist bewährte Rechtsanwältin in Genf, und Stephanie hat sich auf gynäkologische Chirurgie und Onkologie im HEGP, dem Spital Georges Pompidou in Paris spezialisiert. Die Klinik Genolier arbeitet bereits im dritten Jahr mit dem HEGP zusammen; so können wir modernste klinische Techniken kombinieren und umfangreiche, langjährige klinische Erfahrung austauschen.
Ich finde es ideal, eine erfolgreiche berufliche Karriere mit Privatleben, Familie und Sport in Einklang zu bringen. Immer die volle und vorbehaltlose Unterstützung meines Mannes und meiner Eltern zu haben, war ein grosses Glück für mich.

Sie wuchsen in Zagreb im Šalata-Quartier auf. Gibt es noch etwas, das Sie mit Ihrer Heimatstadt verbindet?
Die Stadt Zagreb werde ich immer in meinem Herzen tragen, sie ist meine Inspiration. Scherzhaft sage ich oft, dass ich mit Käse und Rahm aufgewachsen bin. Und in der Schweiz, dem wunderschönen Land der tausend Käsesorten, vermisse ich dennoch den Käse und den Rahm von Dolac.
Von dort blieb mir auch die Erinnerung an eine unbeschwerte Jugend, an Spaziergänge zum Platz Cvjetni trg und zum Theatercafé. Auch die Basis meiner Karriere, die Medizinische Fakultät im Šalata-Quartier, bedeutet Zagreb für mich, ebenso das kulturelle Erbe Mitteleuropas, aber auch meine Eltern, die jetzt auf dem Mirogoj liegen – wundervolle Eltern, ohne die ich nicht zu dem Menschen geworden wäre, der ich heute bin.
Die Zeit für unser Interview war damit leider bereits abgelaufen, und bedankte mich bei Frau Seidler, worauf sie wieder zu ihren Patienten eilte.
Quelle: Libra 53
Interview geführt von: Vesna Jelinek
Übersetzung ins Deutsche: Ana Števanja Macan