Frau Dr. Katarina Livljanić, Professorin an der Pariser Sorbonne, übernahm den Lehrstuhl für Vokalmusik an der Schola Cantorum Basiliensis, einem Institut der Musik-Akademie der Stadt Basel (FHNW). Bereits Radovan Lorković, ein weiterer Professor aus Kroatien, hatte dem dortigen Lehrstuhl für Violine während vieler Jahre seinen Stempel aufgedrückt. Nun wird die Schweiz erneut durch eine kroatische Fachfrau von Weltrang bereichert. Würde das Nobelkomitee einen Preis für Kunst verleihen, dann wäre Livljanić bestimmt eine der aussichtsreicheren Kandidatinnen.

Frau Livljanić wurde an der Adria geboren, schloss die Schulen in Zadar und darauf das Konservatorium in Zagreb ab. In Paris folgten das Doktorat und eine Professur für mittelalterliche Musik. Doch einer hochgebildeten, intelligenten Frau mit vielen Talenten genügte das nicht. 1997 gründete sie «Dialogos», ein musiktheatralisches Ensemble, das sich an Festivals in Nord- und Lateinamerika, Europa und Nordafrika zahlreiche Auszeichnungen holte. Livljanić erhielt daneben kroatische und französische Auszeichnungen. Auch interpretierte sie «Judita», ein Gedicht des kroatischen Humanisten Marko Marulic, auf zahlreichen Bühnen der Welt, unter anderem im renommierten Lincoln Center in New York.

Doch das ist nicht alles: Sie publiziert auch zahlreiche kroatische Kolumnen, deren Qualität nicht hinter denen des klassischen Schriftstellers Antun G. Matoš zurücksteht, und verfasst Bücher über mittelalterliche Musik.

Wie und warum entschieden Sie sich für Basel?

Die Schola Cantorum Basiliensis ist ein zauberhafter Arbeitsplatz, zugleich eine der stärksten internationalen Hochschul-Institutionen für die Interpretation früher Musik. Nach vielen Jahren Arbeit an der Sorbonne, während derer ich mich auch mit theoretischen Fragen befasste, verlagerte ich jetzt mein Wirken mit viel Freude auf die Gesangsinterpretation. Es wird Zeit, meine Erfahrungen an Jüngere zu übertragen. So kommt die Anstellung in Basel gerade zur rechten Zeit.

Wie wurden Sie aufgenommen? Erfüllten sich Ihre Erwartungen?

Ich arbeite gerne an der Schola Cantorum. Sie ist viel kleiner als die Sorbonne. Dadurch fällt der Unterricht viel individueller aus und findet in einer beinahe schon familiären Atmosphäre statt. Die Studenten kommen aus der ganzen Welt, ihr Niveau ist ausgezeichnet, ihre Motivation und Selbstständigkeit ebenfalls. Wir sind eine kleine Familie von Enthusiasten und Perfektionisten aus allen Kontinenten. Meine Erwartungen wurden nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen.

Kroaten, Franzosen und Schweizer, vielleicht besser gesagt Basler, sind sehr unterschiedliche Menschen, was Kultur und Tradition, aber auch Umwelt oder Politik betrifft. Spüren Sie etwas von diesen verschiedenen Milieus?

Wie gesagt, die Schule liegt zwar in Basel, ist aber kosmopolitisch, was sowohl für die Studenten wie auch für meine Kollegen gilt; es sind Menschen aus der ganzen Welt. Noch stärker als im grossen Paris, wo ich viele Jahre lebte, fühle ich mich in Basel an einem Ort, wo es keine dominante Mentalität oder Kultur gibt, sondern einen sehr interessanten und stimulierenden Mix von Menschen, die sich aus künstlerischen Gründen für ein Exil entschieden. Schon die Schweiz selbst hat das Polyglotte in ihrem Wesen, eine ausserordentliche Art, breiter und flexibler zu denken. Denn die Sprache beeinflusst das Denken, und die Präsenz diverser Sprachen im täglichen Leben öffnet den Geist für andere Mentalitäten und Denkweisen.

Sie sind Sängerin, Pädagogin, künstlerische Leiterin des Ensembles Dialogos und Autorin. Was lieben Sie am meisten, und wofür investieren Sie den grössten Teil Ihrer Zeit?

Für mich sind das keine getrennten Funktionen, sondern lediglich verschiedene, sich gegenseitig ergänzende Ausdrucksarten desselben inneren Bedürfnisses. Widme ich mich einer dieser Funktionen, fällt auch viel für die anderen ab.

Dialogos war mein Jugendtraum. Schon als Kind interessierte ich mich für mittelalterliche Musik. Und durch dieses grosse Projekt, das den grössten Teil meiner kreativen Arbeit beanspruchte, konnte ich mir diesen Traum erfüllen. Seit dem Start in Paris vor 25 Jahren traten wir auf verschiedenen Kontinenten auf. Wir produzierten auch CDs, DVDs und Videos mit unbekanntem, mittelalterlichem Repertoire, darunter übrigens auch Vieles aus kroatischen Quellen.

Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?

Zusammen mit der Regisseurin Sanda Hržić arbeite ich an einem grossen Projekt, dessen Premiere für diesen Sommer angesagt ist. Es geht um eine musikalisch-szenische Version der «Hekuba» des Renaissance-Dichters Marin Držić aus Dubrovnik.

Bereits die schweizerisch-kroatischen Nobelpreisträger Leopold Ružička und Vladimir Prelog drückten der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) ihren Stempel auf. Zurzeit forschen dort die kroatischen Professoren Nenad Ban und Srdjan Capkun, die unser Wissen mit ihren Vorträgen bereicherten. Wir hoffen nun, dass wir auch Frau Livljanić dafür gewinnen können, unseren kulturellen Horizont mit einem Vortrag zu erweitern.

Interview geführt und ins Deutsche übersetzt von: Georg Foglar

Quelle: Libra 50