Ihre Karriere als Sängerin begann und beendete Dunja Vejzović in Kroatien. Doch die aus Zagreb stammende Mezzosopranistin, die auch im dramatischen Sopranfach grosse Erfolge feierte, war weltweit engagiert, hauptsächlich in Deutschland. Sie sang an den bedeutendsten Opernhäusern wie der Scala, der Wiener Staatsoper, der Met ebenso wie bei den Bayreuther und Salzburger Festspielen. Auch in der Schweiz trat sie zwischen 1976 und 1981 an verschiedenen Bühnen in Basel, Genf und Zürich auf. An ihre Schweizer Erinnerungen denkt sie gerne zurück.

Judith Blaubart Barbe bleu Geneve

«An den Schweizer Opernhäusern war ich nie fest engagiert, sondern immer nur als Gast», erzählt Vejzović. «Diesen Gastspielen verdanke ich aber wichtige Impulse für meine Karriere. Die erste Produktion war Wagners ‘Parsifal’, in der ich meine erste Kundry sang. Das kam so zustande: Werner Düggelin hatte am Nürnberger Opernhaus, wo ich engagiert war, Tschaikowskys ‘Pique Dame’ inszeniert, und ich war – als ziemlich junge Sängerin – die alte Gräfin. Wir verstanden uns von Anfang an sehr gut und Düggelin sagte: ‘Du wirst meine Kundry’. Ich habe sofort zugesagt, ohne zu wissen, was mit der Rolle auf mich zukommt. Es war eine wunderbare Konstellation. Die grossartige Regie von Düggelin, Armin Jordan als Dirigent und der alte Studienleiter Paul Zelter, der schon bei Knappertsbusch Wagner-Opern begleitet hatte und mit mir Ton, Wort und Sinn jeder Phrase bis ins kleinste Detail erarbeitete. Und so gute Partner. Es ist so entscheidend, wie eine neue Rolle erarbeitet wird, das bestimmt jede folgende Aufführung. Und der Parsifal in Basel war der Grund, warum ich für diese Rolle nach Bayreuth engagiert wurde. Wolfgang Wagner suchte eine Kundry und Studienleiter Zelter machte ihn auf mich aufmerksam.»

Schon während ihres Gesangsstudiums sang sie kleinere Rollen am Kroatischen Nationaltheater in ihrer Heimatstadt Zagreb, wo sie 1969 ihre Bühnenkarriere begann. Doch das reichte ihr nicht. Nach ihrer Ausbildung an der Musikakademie in Zagreb absolvierte Frau Vejzović ein einjähriges Aufbaustudium im Fach Lied an der Hochschule für Musik in Stuttgart. Da sie Deutschland als ihre berufliche Heimat bezeichnet, war das Engagement in der Schweiz für sie ein Gastspiel ‘im Ausland’. Obwohl die Musikwelt glücklicherweise keine Landesgrenzen kennt, betont sie gerne, dass sie der Schweiz indirekt viel zu verdanken hat.

Kundry, Parsifal Basel Apr. 1977

«Ich habe gemerkt, dass es schwierig ist, zu Hause ‘aufzusteigen’, und ich wollte nicht auf einen Zufall warten», erzählt Vejzović. «Mein erster Erfolg war, dass ich gleich nach dem Jahr an der Hochschule in Stuttgart und einigen Vorsingen ein Engagement als Solistin am Opernhaus in Nürnberg bekam und sofort in grossen Partien eingesetzt wurde.» So war sie in Nürnberg als Carmen in ‘Carmen’, Venus in ‘Tannhäuser’, Azucena in ‘Il Trovatore’, Amneris in ‘Aida’, Dalila in ‘Samson et Dalila’ zu sehen. «Ich hatte zwar einen festen Vertrag, aber ich war Gastarbeiterin, und es war für die Solistin, die damals jugoslawische Staatsbürgerin war, eine grosse Belastung, immer wieder bei den Behörden um Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen anstehen zu müssen. Aber um in der Kunst voranzukommen, hat es sich gelohnt, die bürokratischen Hürden zu überwinden».

«Ich hatte fast jeden Tag Vorstellungen», erzählt Vejzović weiter. «Ausserdem hatte ich das Glück, an der Nürnberger Oper mit Regisseuren arbeiten zu können, die für meine Entwicklung sehr wichtig waren, allen voran Hans Neuenfels, der vor kurzem verstorben ist – ein grosser Verlust für die Theaterwelt. Der Schauspielregisseur Neuenfels inszenierte seine erste Oper, Verdis Troubadour, und ich sang die Azucena wie befreit, das war mein Durchbruch. Dann kam die Arbeit mit einem anderen Schauspielregisseur, Günther Heyme, mit dem ich die Rolle der Marie im Wozzeck erarbeitete, in der ich mich neben der Kundry besonders profilieren konnte. Und dann kam Werner Düggelin und ich betrat Schweizer Boden. Es war meine erste Begegnung mit diesem wohlhabenden Land, das so ganz anders war als meine Heimat. Und ich spürte sehr schnell die grosse Kulturbegeisterung und Wertschätzung für die Kunst in diesem Land. Wagners Antipode Verdi hat mich auch an die Basler Oper gelockt. Als Amneris in Aida», führt sie weiter. «Die Atmosphäre im Haus war immer besonders sympathisch und ich habe mich wie zu Hause gefühlt. Auch weil das Theater über eine schöne Wohnung direkt im Haus verfügt, konnte ich sozusagen in der Oper wohnen».

Amneris Aida Basel Okt. 1977.

«Eine weitere grosse Wagner-Partie habe ich zum ersten Mal an der Oper Basel kreiert, und auch hier hatte ich einen grossartigen Regisseur. Hans Hollmann inszenierte ‘Die Walküre’ und ich wurde als Gast für die Brunhilde eingeladen. Wieder dirigierte Armin Jordan, der Wagner im Blut hatte und mit uns die Partien sorgfältig einstudierte. So konnte ich diese Partie mühelos ‘abliefern’, als mich später Lovro Matačić für seine ‘Walküre’ nach Monte Carlo rief. In Basel hatten wir eine hervorragende Besetzung in allen Rollen, mein Partner Peter van Ginkel war ein hervorragender Wotan, ebenso Manfred Jung als Siegmund und Uta Flake als Sieglinde in dieser aufregend modernen Inszenierung, in der die Walküren mit Trampolinen durch die Luft flogen, was bei allem Beifall für die musikalische Qualität natürlich auch widersprüchliche Reaktionen hervorrief. Aber ohne ein gewisses Mass an Provokation kann es keinen neuen Blick auf ein Werk geben. Oper darf nicht verstauben. Nur so wird sie zum Erlebnis.» Auch wenn die Zeitungskritiken einer Neuinszenierung sehr kritisch gegenüberstanden, waren die Urteile über Vejzovićs musikalische Qualitäten und ihren Beitrag zum Stück stets mehr als positiv.

Brünhilde Walküre Basel Mai 1978.

«Erfahrungen habe ich auch an einer anderen grossen Bühne in der Schweiz gemacht, am Grand Théâtre de Genève. Genf, eine ganz andere Welt im gleichen Land. Dort wurde ich eingeladen, an einem Abend zwei grosse und schwierige Rollen zu singen, die Jokaste in Strawinskis ‘Oedipus Rex’ und die Judith in Bartoks ‘Herzog Blaubarts Burg’. Das alles in der Inszenierung von Jorge Lavelli, einem aussergewöhnlichen Regisseur, mit dem zu arbeiten für mich wichtig war, weil ich seit meiner Arbeit mit Hans Neuenfels, die so entscheidend für meinen Erfolg war, sehr kritisch gegenüber Regisseuren war. Aber mit Lavellis Rollengestaltung war ich als Sängerin und Schauspielerin einverstanden. Schwierig war allerdings, dass Blaubarts Burg in der Originalsprache gesungen wurde. Obwohl ich Kroatisch, Deutsch, Englisch sowie auch Italienisch und Französisch recht gut beherrsche, war Ungarisch für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Also liess ich mir von einer Ungarin zumindest grammatikalisch alles erklären, was ich singen sollte, und natürlich auch die richtige Aussprache, mit dem Erfolg, dass einige ungarische Musiker aus dem Orchester mich in ihrer Muttersprache ansprachen und erstaunt waren, dass ich sie nicht verstand. Musikalisch haben wir uns aber gut verstanden, zumal der Dirigent Horst Stein war. Er war künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Orchestre de la Suisse Romande in Genf. Mit ihm hatte ich gerade in Bayreuth während drei Festspielzeiten die Kundry gesungen, die ich seit Basel in mir trug».

Jokaste Ödipus Rex Genève Okt 1981.

«Eine besondere Erinnerung habe ich an das Opernhaus Zürich. In einer Aufführung von Berlioz‘ ‚Les Troyens‘ musste ich kurzfristig als Didone einspringen. Ich kannte die Rolle zwar sehr gut, weil ich sie schon an der Mailänder Scala unter Georges Prètre in der Regie von Luca Ronconi gesungen hatte, aber natürlich nicht die Inszenierung in Zürich. So sass ich an einem Tischchen am Bühnenrand und sang, während die indisponierte Sängerin die Rolle stumm spielte».

«An Zürich habe ich auch gute Erinnerungen an viele Opernbesuche als Zuschauerin, weil einer meiner kroatischen Studenten, Krešimir Stražanac, heute ein international gefragter Sänger, hier sein erstes Engagement hatte». Neben ihrer eigenen Opern- und Konzerttätigkeit war Dunja Vejzović nämlich auch als Gesangspädagogin in Graz, Zagreb und Stuttgart tätig. «Mehrere junge Schweizer Sängerinnen und Sänger haben während meiner Zeit als Professorin an der Hochschule in Stuttgart bei mir Unterricht genommen. Damit schloss sich ein Kreis – ich als ehemalige Studentin der Hochschule war nun selbst dort Professorin, und nicht wenige kroatische Gesangsstudenten, die heute Karriere machen, waren meine Schüler in Stuttgart. Die Vernetzung der Musikszene zwischen Kroatien und Deutschland war mir immer wichtig und wurde mit dem Bundesverdienstkreuz durch den Bundespräsidenten gewürdigt».

Ein Kreis schloss sich auch am Ende der Bühnenkarriere von Dunja Vejzović. Sie lacht: «Das Ende meiner Karriere feierte ich schon zwei oder drei Mal, 2004 mit der Rolle der Charlotte in Massenets ‚Werther‘ in Zagreb, aber vor etwa fünf Jahren bekam ich ein Angebot für die Rolle der Burya in Janáceks ‚Jenufa‘, das ich wegen der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Peter Konwitschny gerne annahm, und ich dachte, das wäre nun mein letzter Auftritt. Aber dann kam dieses Projekt mit Tschaikowskys ‚Pique Dame‘ am Kroatischen Nationaltheater ‚Ivan pl. Zajc‘ in Rijeka, wo ich meinem Vorsatz, nicht mehr aufzutreten, schon einmal untreu geworden war und 2015 als Solistin in vier Stücken des bekannten kroatischen Komponisten Milko Kelemen auftrat, die wir ‚InferNO’ genannt hatten, also vier verschiedene Monologe sang und spielte. Bei ‚Pique Dame‘, dessen Premiere am 15. Juni 2023 gefeiert wurde, war ich die künstlerische Leiterin des Projekts und sang unter der Regie meines Mannes Christian Romanowski die Rolle der Gräfin, in der ich am Beginn meiner Karriere aufgetreten war und die mir das erste Engagement in der Schweiz brachte. Und jetzt, mit 80 Jahren, habe ich mit dieser Rolle meine Bühnenkarriere endgültig abgeschlossen, glaube ich».

Nun, ob man dieser letzten Aussage Glauben schenken kann, ist fraglich. Vielleicht war es ein Finale, aber doch nicht das Ende einer aussergewöhnlichen Karriere.

Interview geführt von Vesna Polić Foglar