Die praktischen Aspekte der Ablösung der Kuna und der Einführung des Euro Anfang 2023 sind den Libra-Lesern wahrscheinlich aus Medien und Wirtschaftskommunikation bekannt. In diesem Artikel sind aber einige wirtschaftliche Aspekte dieses Prozesses beschrieben, über die in Medien und sogar in Fachpublikationen überraschend wenig geschrieben wird, wenn man die historische Bedeutung dieses Akts berücksichtigt. 

Institutioneller Hintergrund

Am 1. Juli 2013 wurde Kroatien Vollmitglied der EU, mit allen Rechten und Pflichten, die sich aus dieser Mitgliedschaft ergeben. Laut EU-Vertrag sind alle Mitglieder der Union verpflichtet, zu einem unbestimmten Zeitpunkt den Euro einzuführen. Die Idee dahinter ist, dass die erfolgreiche wirtschaftliche Integration auch eine gemeinsame Geldpolitik erfordert. Das historisch wichtigste Beispiel dafür sind die USA. Erst nach der Beseitigung aller Hindernisse für die gemeinsame Währung und Geldpolitik in den 1860er-Jahren begann für die amerikanische Wirtschaft eine Phase intensiven Wachstums unter Bedingungen finanzieller Stabilität. Bis dahin hatten einzelne Bundesstaaten auf unterschiedliche Weise versucht, die gemeinsame Geldpolitik zu behindern, damit lokale wirtschaftliche und politische Eliten daraus Profit schlagen konnten. Die USA waren daher im 19. Jahrhundert trotz schneller Industrialisierung und einer Fülle natürlicher und landwirtschaftlicher Ressourcen eine zweitklassige Volkswirtschaft.Der Zeitpunkt der Euro-Einführung bleibt den einzelnen Ländern überlassen. Nach dem Beitritt Kroatiens bleiben nur noch Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien und Schweden ausserhalb der Eurozone. Jedes dieser Länder hat in Bezug auf die Euro-Einführung seine eigene Geschichte. Die Gründe dafür sind in erster Linie politischer und nicht wirtschaftlicher Natur. Dänemark ist das einzige EU-Mitglied, das wegen spezifischer politischer Umstände Anfang der 1990er-Jahre die Verpflichtung zur Euro-Einführung nicht übernahm, als die nationalen Parlamente den Vertrag von Maastricht zur Einführung des Euro ratifizierten. Die Dänische Krone ist jedoch seit 30 Jahren am engsten an den Euro-Wechselkurs (früher D-Mark) gebunden. In Finanzkreisen heisst es, die Differenz zwischen der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Dänischen Nationalbank betrage «3 Minuten» – so lange dauert es, bis Beschlüsse aus Frankfurt in Kopenhagen umgesetzt werden.

Wirtschaftliche Rahmenbedingungen für die Einführung des Euro

Der Vertrag von Maastricht von 1992 legte die Kriterien für die sogenannte nominale und reale Konvergenz der Wirtschaft der Kandidatenländer mit derjenigen der Eurozone fest. Diese Bedingungen sind keineswegs trivial, sondern erfordern tiefgreifende makroökonomische, finanzielle und institutionelle Anpassungen. Die Kandidatenländer müssen nachweisen, dass sie ausreichend reife Volkswirtschaften haben, damit sie ihre eigene Währung aufgeben und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) ohne negative Folgen für ihre Wirtschaft und die der bestehenden Mitglieder der Eurozone akzeptieren können. Eine solche wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit ist die Voraussetzung dafür, gegenseitig aus einer gemeinsamen Währung zu profitieren.

Die Institutionen, die die Erfüllung der Konvergenzkriterien bewerten, sind die Europäische Kommission und die EZB, die endgültige Entscheidung wird vom Europäischen Rat getroffen. Auf diese Weise wurden die technokratischen und politischen Aspekte der Entscheidung, ein neues Mitglied in die Eurozone aufzunehmen, getrennt. Die Konvergenzbedingungen wurden seit 1992 formell nicht geändert, da jede Änderung des Vertrags einen einstimmigen Beschluss nicht nur aller Mitglieder der Eurozone, sondern auch derjenigen, die noch eine nationale Währung haben, erfordert. Eine solche Vereinbarung kann nur unter besonderen historischen Umständen getroffen werden.

Die Konvergenzbedingungen beziehen sich auf die Inflationsrate, die um nicht mehr als den zulässigen Betrag von 1,5 % des Durchschnitts der drei EU-Mitgliedstaaten mit der geringsten Inflation abweichen darf, weiter auf ein nachhaltiges Haushaltsdefizit von nicht mehr als 3 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) im Referenzzeitraum, eine Verschuldung des öffentlichen Sektors von weniger als 60 % des BIP (oder auf dem Weg der Reduktion auf den Referenzwert), einen langfristig stabilen Zinssatz mit einem Referenzwert, der dem Inflationskriterium ähnlich ist, sowie der Stabilität des Wechselkurses. Die historische Praxis zeigt eine gewisse Flexibilität bei der professionellen Interpretation der Konvergenzbedingungen und die Betonung bestimmter Bedingungen in Übereinstimmung mit makroökonomischen und finanziellen Trends in Europa und der Welt. Dies war beispielsweise nach der globalen Finanzkrise 2008-09 und der Schuldenkrise von Ländern wie Griechenland 2010-12 der Fall. Auf die Beurteilung der Lage des Bankensystems und der Zahlungsbilanz wurde deutlich mehr Gewicht gelegt.

Zu jedem der Konvergenzkriterien gibt es umfassende theoretische und empirische Literatur. In den 2000er-Jahren erregte beispielsweise die Frage, ob die Kriterien «niedrige Inflationsrate» und «Wechselkursstabilität» für neue EU-Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa zu restriktiv sind, viel Aufmerksamkeit. Das Phänomen der realen Wechselkursaufwertung und der «strukturellen» Inflation ist aus der Wirtschaftstheorie und der historischen Entwicklung zahlreicher Marktwirtschaften bekannt. Dieses Phänomen spiegelt den Aufholprozess in der wirtschaftlichen Entwicklung wider und ist, im Gegensatz zur durch schlechte Wirtschaftspolitik verursachten, «pathologischen» Inflation, die die Gründer der Europäischen Währungsunion verhindern wollten, von harmloser, «physiologischer» Natur.

Trotz der Berechtigung dieser wirtschaftlichen Argumente gab es für die EU-Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa keine Zugeständnisse: Slowenien, die Slowakei, die drei baltischen Staaten und Kroatien mussten sehr strenge Kriterien von Wechselkursstabilität und geringer Inflation erfüllen, um in die Eurozone aufgenommen zu werden. Mit anderen Worten, ihre Volkswirtschaften mussten mindestens zwei bis drei Jahre in einer Art Korsett verbringen, mit niedrigerer Inflationsrate und langsamerer realer Aufwertung des Wechselkurses, als ihrem wirtschaftlichen Entwicklungsstand angemessen gewesen wäre. Der breiten Öffentlichkeit ist dies meist nicht bewusst, weil eine solche Analyse nicht in das vorherrschende Narrativ westeuropäischer Medien über mangelnde Vorbereitung von Volkswirtschaften der mittel- und osteuropäischen Länder auf die Eurozone passt.

Der Mythos der starken Kuna und der Entwicklungspolitik

Das bekannte Mediennarrativ zur Einführung des Euro liess in bestimmten Kreisen kurzzeitig einen weiteren Mythos wieder aufleben – dass es nämlich wichtig sei, die eigene Währung zu behalten, damit die Geldpolitik die wirtschaftliche Entwicklung kurz- und langfristig beeinflussen könne. Die dafür vorgebrachten Argumente: Die staatliche Zentralbank könne mit einer Abwertung der Währung auf wirtschaftliche Störungen, die die Binnenwirtschaft, nicht aber die Eurozone betreffen (sogenannte «asymmetrische Schocks»), reagieren. Ausserdem sei es möglich, die Exporttätigkeit, von der verarbeitenden Industrie bis zum Tourismus, mit Hilfe des Wechselkurses langfristig anzukurbeln.

Das erste Argument ist logisch widersprüchlich und leicht zu entkräften. Denn die Idee einer Währungsunion besteht ja gerade darin, dass die gemeinsame Währung von Volkswirtschaften mit ähnlichen Konjunkturzyklen akzeptiert wird. Und bei asymmetrischen Schocks – zum Beispiel einer katastrophalen Dürre oder einer Überschwemmung in einem der Länder – nützt die Wechselkurspolitik ohnehin nichts. Solche Situationen können nämlich durch gezielte Fiskal- und Kreditmassnahmen, die jeder Volkswirtschaft dauerhaft zur Verfügung stehen, gelöst werden.

Das Argument, dass die Akzeptanz des Euro – oder generell die «künstliche» Aufrechterhaltung eines starken Wechselkurses der heimischen Währung – der Exportwirtschaft schade und die Importwirtschaft belebe, kann aus folgenden drei Gründen zurückgewiesen werden:

∙ Erstens ignoriert dieses Argument einen wichtigen Teil der Weltwirtschaftsgeschichte. Wettbewerbsbedingte Abwertungen in den 1930er-Jahren, getrieben von der Idee, dass ein Land seine Exportprodukte verbilligen und einem anderen den Markt abnehmen könnte – damals begleitet von Zollkriegen – hatten verheerende wirtschaftliche und politische Folgen. Um eine solche destruktive Wirtschaftspolitik zu vermeiden, wurde 1944 eine neue internationale Wirtschaftsordnung, das sogenannte Bretton-Woods-System geschaffen, mit Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT). Die grundlegende Funktion dieser Anordnung bestand darin, spontane Wechselkursänderungen zu verhindern. Selbst nach 1973, als das System fester Wechselkurse gegenüber dem Dollar aufgegeben und schwankende Wechselkurse eingeführt wurden, toleriert die internationale Gemeinschaft den Einsatz von Wechselkursabwertung zum Zweck der Erweiterung des Exportmarktes nicht.

∙ Zweitens wurde der traditionelle Aussenhandel – Import und Export von Fertigwaren und Dienstleistungen, die auf Grund der komparativen Vorteile einer einzelnen Volkswirtschaft produziert wurden – seit der Mitte der 1980er-Jahre als Folge der Aufnahme in die globalen Lieferketten fast vollständig verdrängt. Seitdem verlagern Unternehmen aus entwickelten Volkswirtschaften bestimmte Produktionsschritte aus ihren Fabriken in andere Volkswirtschaften, mit dem Ziel, Qualität und Wettbewerbsfähigkeit zu optimieren. Die Folge davon ist, dass heute vor allem Komponenten importiert und exportiert werden: Teile von Motoren oder elektrischen Geräten, chemische Inhaltsstoffe – also Zwischen- an Stelle von Endprodukten.

Gerade wegen der gemeinsamen Marktentwicklungspolitik ist Europa seit mehreren Jahrzehnten in dieser Form der wirtschaftlichen Integration führend. Durch den Zusammenschluss von Lieferketten können sich Volkswirtschaften heute entwickeln, ohne eine eigene, breite industrielle Basis aufzubauen, was in der Vergangenheit als notwendig dafür erachtet wurde, in der wirtschaftlichen Entwicklung aufzuholen. Der Wechselkurs der Landeswährung spielt eine untergeordnete Rolle. Wichtig sind die Qualität von Humankapital und Institutionen. Ein Beispiel für diese Form der Integration ist der Erfolg, den kroatische Unternehmen im IT-Bereich, aber auch zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen, die ausländische Konzerne mit Komponenten industrieller Produkte beliefern, in Regionen wie Istrien, Međimurje und Zagreb in den letzten Jahren verzeichnen konnten.

∙ Drittens verlagerte sich mit der Freisetzung internationaler Kapitalströme seit den 1980er-Jahren der dominierende Einfluss auf die Wechselkurse vom Handel mit Waren und Dienstleistungen auf die Bewegungen der Weltfinanzmärkte. Diesen internationalen Finanzmärkten trat Kroatien durch die Privatisierung des Bankensystems in den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren bei. Seither floss mehr oder weniger kontinuierlich ausländisches Kapital nach Kroatien – und zwar in einem Mass, das den Wert der Nettoexporte deutlich übersteigt. Der Kapitalzufluss erzeugt eine Nachfrage nach der Kuna und übt einen kontinuierlichen Druck auf die Aufwertung des Wechselkurses aus. Das Argument, die Kroatische Nationalbank könnte den Kuna-Wechselkurs «fallen lassen», um beispielsweise durch günstigere Preise für touristische Dienstleistungen mehr ausländische Touristen anzulocken, ist im Vergleich mit der Realität der Kapitalströme reine Illusion. Die Kuna kann unter diesen Bedingungen nur dann an Wert verlieren, wenn der Kapitalzufluss begrenzt ist oder schlechte Wirtschaftspolitik betrieben wird, die ausländische Investoren abschreckt. Dies wäre natürlich selbstzerstörerisch.

Unvermeidliche Euro-Einführung in Kroatien

Es gibt jedoch noch tiefere, historische Gründe, wegen derer die Einführung des Euro in Kroatien unvermeidlich ist. In der sozialistischen Wirtschaft konnte das Geld einige seiner Grundfunktionen nicht erfüllen, weil es nicht jederzeit gegen benötigte Waren oder Dienstleistungen eingetauscht werden konnte. Für Verbraucher war Geld eher wie ein Gutschein, der den Inhaber dazu berechtigte, ein bestimmtes Produkt zu kaufen, sofern dieses Produkt im Geschäft überhaupt zu finden war. Ähnliche Erfahrungen machen Schweizer Konsumenten, wenn sie im Supermarkt Rabattgutscheine einlösen. Die Funktion des «echten» Gelds hatten im Sozialismus nur die konvertierbaren Währungen – für D-Mark war gewünschte Ware jederzeit erhältlich.

Als die Behörden des ehemaligen Staates ab Mitte der 1960er-Jahre begannen, Auslandstätigkeiten zu fördern, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen und gleichzeitig die Verwendung von Fremdwährungskonten bei inländischen Banken zu ermöglichen, begann in Kroatien die lange Geschichte der Verdrängung der heimischen Währung zu Gunsten des Euro. Die Kuna war in diesem Prozess nur ein erfolgreiches Zwischenspiel. Allerdings wurde die Kuna weder zu einer universellen Wertreserve – über 70 % des Geldvermögens lautet nach wie vor auf Fremdwährungen – noch zu einer universellen Recheneinheit, da Immobilienpreise immer in D-Mark oder Euro ausgedrückt wurden. Die Kuna erfüllte daher einige der grundlegenden Funktionen von «echtem» Geld nicht. Mit anderen Worten, die Bürger Kroatiens besiegelten mit ihren Finanzentscheidungen das Schicksal der Kuna als unterdrückte Währung und machten die Euro-Einführung unausweichlich.

Dubravko Mihaljek (1959), PhD, ist Senior Advisor/leitender Berater in der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, wo er seit 1999 tätig ist.

Quelle: Libra 52

Text: Dubravko Mihaljek

Übersetzung ins Deutsche: Ines Puzić

Illustration: Željka Bratoljić-Melkay